»Wir müssen die StudentInnen motivieren!«

Im Gespräch mit Jórunn Ragnarsdóttir, LRO Architekten, Stuttgart

Während der Jury-Sitzung zum BDB-Studentenförderpreis 2019 in Berlin (Ergebnisse hier auf S. 12/13) ergaben sich zahlreiche Gespräche über Wettbewerbe und ihre ganz besondere Geschichte, über ihre Bedeutung und ihre Möglichkeiten. Und weil wir uns einig waren, dass solcherart Wettbewerbe zur Entwicklung der kommenden Architektengeneration unverzichtbar sind, haben wir das Gespräch mit der Jury-Vorsitzenden, Jórunn Ragnarsdóttir, LRO Architekten, Stuttgart, in diesem Monatsinterview vertieft. Und sind zu ganz eigenen Schlüssen gekommen.

Welche Erwartungen haben Sie, wenn Sie in einen StudentInnenwettbewerb gehen?

Jórunn Ragnarsdóttir: Ich erwarte fantasievolle und innovative Arbeiten. Das Besondere eines solchen Verfahrens ist ja, dass die Projekte fern von jedem Realisierungsdruck entstehen. Aber vielleicht ist der Begriff „Erwartung“ ein falscher, denn eigentlich erwarte ich erst einmal gar nichts. Ich gehe in solche Wettbewerbe ganz offen und schaue mir zunächst einmal die Pläne an. Also lasse ich mich überraschen. Und ich freue mich natürlich, wenn ich interessante Arbeiten entdecke, die im Verfahren sind.

Was hat sich bei den Wettbewerbsbeiträgen grundsätzlich geändert?

Die Visualisierungen, die Pläne, das ganze Bildmaterial ist wesentlich aufwendiger geworden. Wie es mir überhaupt scheint, dass die Studierenden enorm viel Zeit für die Visualisierung ihrer Entwurfsidee aufwenden. Das ist der grundsätzliche Unterschied zu den Jahren davor, wo sie sich mehr auf Grundrisse und Schnitte konzentriert haben. Und genau das stellt für mich nach wie vor die Grunddisziplin der Architektur dar.

Sind Arbeiten ohne solche Pläne weniger oder sind sie nur anders?

Sie sind anders. Aber dieses Anderssein finden Sie auch in jedem Realisierungswettbewerb. Und hier lassen sich sogar Fachpreisrichter von gut gemachten Bildern blenden. Ich mache die Erfahrung, dass man immer weniger auf das Entwurfskonzept schaut, sondern eher auf das Bildmaterial. Ich bin aber überzeugt davon, dass die herkömmliche Darstellung der klassischen Architekturzeichnung wiederkommen wird.

Analoge Darstellung vs. digitale Bilderwelt? Ist der Plan die erwartbare Gegenbewegung zum Visual oder steckt mehr dahinter?

Wir müssen uns mehr mit dem Wesentlichen auseinandersetzten. Dazu gehören Städtebau, Kubatur, die Gestaltung der Räume, die Konstruktion, das Detail, die Materialien und vieles mehr. Wir werden wieder tiefer einstiegen in die architektonischen Konzepte, aber auch in die sozialen Inhalte. Die schönen Fassadenbilder liefern keine gute Grundlage für eine Diskussion über Qualität.

Wenn studentische Arbeiten fantasievoll sein dürfen: Hat eine solche Ihr eigenes Arbeiten schon einmal beeinflusst, sogar verändert?

Bestimmt hat mich schon einmal eine sehr gute Arbeit zum Nachdenken angeregt.

Geht es da um formale oder inhaltliche Aspekte, die gewirkt haben?

Sicherlich beides. Es ist faszinierend, wenn man neue Konzepte für altbewährte Bauaufgaben entdeckt. Jede Generation steht vor ihren eigenen Aufgaben, die aus der Gesellschaft heraus entstehen. Insofern sind wir alle Teilhaber eines Prozesses und müssen uns daher immer wieder neu erfinden.

Wie unterscheiden sich Jury-Sitzungen, die über reale Projekte entscheiden von denen, in denen die Qualität der Kreativität zählt?

Da gibt es erhebliche Unterschiede. Bei den Studentenwettbewerben gibt es keine konkrete Anforderung. In einem Realisierungswettbewerb wird immer mehr vorgeschrieben und festgeschnürt. Bei Letzterem hat man eine viel größere Vergleichsgruppe, da alle Einreichungen auf nur eine Aufgabe zielen. Hier muss man deutlich stärker in einen Prozess des Abwägens kommen. Bei einem Studentenwettbewerb steht jede Arbeit für sich und nur die Qualität zählt.

Was kann ein StudentInnenwettbewerb im bes-ten Fall? Nachwuchsförderung oder mehr?

Ich glaube, dass solche Wettbewerbe wichtig sind, weil sie allen einen Motivationsschub geben. Denn wir müssen doch die Studierenden dazu anregen, über Architektur und Städtebau neu nachdenken und zwar ohne die Zwänge, die später im Beruf kommen. Von der Politik beispielsweise ...

Und die Zwänge, die die LehrerInnen ausüben?

Ambitionierte Studierende wählen sich LehrerInnen, von deren Wissen sie profitieren. Sie sollten während des Studiums unbedingt so viel wie möglich vom Können der LehrerInnen mitnehmen! Zu dieser Art der Bereicherung sollte man sich auch ruhig mal zwingen. Wer in der Lage ist, das Können und die Erkenntnisse anderer anzunehmen, der kommt auch weiter.

Sind Wettbewerbsgewinne dem späteren Weiterkommen förderlich?

Eine Auszeichnung ist eine Form der Anerkennung. Das Entscheidende ist, dass ein solches freiwilliges Engagement ganz hervorragend für die Selbstfindung als Architekt/Architektin dient.

Schaut ihr auf Preise in der Vita bei jungen ArchitektInnen, die sich bei LRO bewerben?

Schon! Dabei ist der Name des Preises gar nicht entscheidend, wir schauen allein auf die Qualität der Arbeit, die oft die Abschlussarbeit ist, die uns ein ziemlich genaues Bild von der Qualifizierung der BewerberInnen gibt. Ob aber solche Arbeiten in Wettbewerben auftauchen, das hängt meistens an der Hochschule, an deren Initiative, ihre Besten zu solchen Wettbewerben zu schicken. Dann funktioniert ein gut ausgeschriebener Studentenwettbewerb wie ein Lockvogel.

Brauchen die JurorInnen für Nachwuchswettbewerbe eine besondere Kompetenz?

Vielleicht. Die Juroren müssen in der Lage sein, sich von gelernten Sichtweisen zu lösen, um Qualität im Andersdenken erkennen zu können. Auf der anderen Seite braucht man natürlich das umfassende Wissen von Architektur, ohne das ein erstes Verstehen ja gar nicht möglich wäre.

Man spricht nicht selten hinter vorgehaltener Hand über eine Jury …

Das Ergebnis jedes Wettbewerbs kann nicht besser sein als die Qualifikation der Juroren. Hier ist die Ausloberin gefordert, ein geeignetes Team zusammenzustellen, in welchem dann eine Diskussion über Architektur stattfinden kann.

Haben sich die StudentInnen immer schon an den Großen orientiert? Hat das zugenommen?

Vorbilder gab es schon immer. Heute ist der digitale Zugang zu Bildern aber viel einfacher. Der Bilderflut zu erliegen, der wir alle ausgesetzt sind, das ist für den Nachwuchs mehr denn je verlockend. Architektur ist aber immer an einen Ort gebunden. Architektur ist kein Produkt, das man auf der Grünen Wiese entwickelt und dann irgendwo abstellt. Wir könnten die Kopien ganz leicht vermeiden, wenn wir aus dem Ort und dem kulturellen Hintergrund heraus arbeiten würden.

Spielt die Höhe der Preissumme eines studentischen Wettbewerbs eine Rolle?

Ja, das glaube ich schon. Ein ansehnliches Preisgeld erhöht definitiv die Motivation zur Teilnahme an einem Wettbewerb.

Würde LRO einen Preis für StudentInnen ausloben?

Ehrlich gesagt haben wir nie darüber gesprochen. Da sind eher andere gefragt, die Kommunen, das Land oder der Bund. Die könnten studentische Ideenwettbewerbe ausschreiben und selber davon profitieren. Das Potential ist jedenfalls bei der heranwachsenden Generation da und neue Gedanken und Ansätze sind immer anregend und willkommen. Ohnehin empfinde ich es als einen Mangel, dass wir als ArchitektInnen meistens nur auf konkrete Fragestellungen antworten. Es wäre viel spannender, sich die Aufgaben selber zu suchen, um innovative Lösungen für städtebauliche Brachen und Unorte zu entwickeln. Neue Aufgaben sind ja überall vorhanden, man muss sie nur entdecken.

Was wünschen Sie diesem Wettbewerb?

Dass er lebendig bleibt und sich stets weiterentwickelt. Dass die Arbeiten angemessen behandelt werden und im feierlichen Rahmen der Öffentlichkeit präsentiert werden. Wir sollten die jungen Menschen stets ernst nehmen und zu guten Taten anspornen.

Mit Jórunn Ragnarsdóttir unterhielt sich am 25. März 2019 per Telefon DBZ Redakteur Benedikt Kraft im Nachgang zur Jurysitzung in Berlin.

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