Arbeitsrecht Krankschreibung: 8 Mythen im Faktencheck

Der Chef darf erst ab dem dritten Krankheitstag eine Krankschreibung vom Arzt verlangen, und wer krankgeschrieben ist, muss das Bett hüten: Rund um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kursieren viele Irrtümer. Einige Beispiele und Richtigstellungen.

Illustration: Kranke Frau schnäuzt in Taschentuch.
Wer sich krankschreibt, muss streng das Bett hüten? Ein Irrtum. Alle Tätigkeiten, die die Heilung nicht verzögern, sind erlaubt. - © Rudzhan - stock.adobe.com

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU), landläufig auch als Krankschreibung bezeichnet, hat arbeitsrechtlich eine große Bedeutung – denn sie berechtigt Arbeitnehmer dazu, ihrem Arbeitsplatz fernzubleiben. Doch die Verunsicherung rund um dieses Thema ist groß, zumal viele Mythen und Halbwahrheiten kursieren, die sich hartnäckig halten. Die populärsten Irrtümer rund um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Realitätscheck.

Irrtum 1: Der Chef darf erst ab dem dritten Krankheitstag eine AU-Bescheinigung verlangen

Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass sich Arbeitnehmer unverzüglich krankmelden müssen – und spätestens nach dem dritten Krankheitstag eine vom Arzt ausgestellte Krankschreibung besorgen müssen. Der Arbeitgeber ist aber auch dazu berechtigt, eine AU-Bescheinigung schon vom ersten Tag an zu verlangen. Seit dem 1. Januar 2023 müssen Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung elektronisch bei den Krankenkassen abrufen. Legt der Chef darauf wert, muss der erkrankte Arbeitnehmer sich wohl oder übel schon am ersten Krankheitstag zum Arzt schleppen – sonst riskiert man eine Abmahnung und im Wiederholungsfall sogar die Kündigung.

Irrtum 2: Man muss dem Chef die genaue Diagnose mitteilen

Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber nicht im Detail mitteilen, woran er erkrankt ist – das ist Privatsache. Der Arbeitgeber hat lediglich einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie lange sein Mitarbeiter voraussichtlich ausfallen wird. Vor dem Arztbesuch muss der Mitarbeiter daher subjektiv einschätzen, wie lange seine krankheitsbedingte Abwesenheit dauern könnte – und nach dem Arztbesuch muss die Prognose des Arztes dem Arbeitgeber mitgeteilt werden. Die ärztliche Einschätzung geht aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hervor.

Irrtum 3: Der Chef muss eine Krankschreibung akzeptieren

Der Arbeitgeber kann eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch zurückweisen – nämlich dann, wenn der begründete Verdacht besteht, dass es sich um eine Gefälligkeitsbescheinigung handelt und der Arbeitnehmer in Wahrheit krankfeiert. In begründeten Fällen drohen dann arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung – denn wer blaumacht und sich dadurch eine Entgeltfortzahlung erschleicht, begeht juristisch einen Betrug zulasten seines Arbeitgebers.

Die Hürden sind allerdings hoch, denn grundsätzlich kommt der AU-Bescheinigung ein hoher Beweiswert zu. Um diesen Beweis zu erschüttern, muss der Arbeitgeber Tatsachen vortragen, die "ernsthafte und begründete Zweifel" an der attestierten Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen. Das kann etwa ein angekündigtes Krankfeiern nach einer Auseinandersetzung sein, genauso wie ständige Krankmeldungen direkt vor oder direkt nach dem Urlaub. Auch wer Tätigkeiten nachgeht, die der Genesung nachweislich schaden, riskiert arbeitsrechtliche Konsequenzen. So durfte einem krankgeschriebenen Arbeitnehmer, der in der Nacht als DJ arbeitete, außerordentlich gekündigt werden, entschied das Arbeitsgericht Köln (Aktenzeichen CA 4192/13).

Irrtum 4: Wer krankgeschrieben ist, muss das Bett hüten

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass man zu Hause bleiben muss, wenn man krankgeschrieben ist. Arztbesuche oder der Gang zur Apotheke sind natürlich erlaubt. Auch Einkäufe im Supermarkt kann man jederzeit tätigen oder auch sein Kind aus der Schule beziehungsweise vom Kindergarten abholen. Sogar Freizeitbeschäftigungen wie Kino oder ein Restaurantbesuch sind unter Umständen möglich, ebenso wie beispielsweise eine Zugfahrt zu den Eltern. Grundsätzlich gilt: Alles, was die Heilung nicht verzögert, ist erlaubt – und der Mitarbeiter kann während der Arbeitsunfähigkeit machen, was er will. Was aber keinesfalls geht und eine fristlose Kündigung nach sich ziehen kann, ist, während der Krankschreibung für einen anderen Arbeitgeber zu arbeiten.

Irrtum 5: Wer krankgeschrieben ist, dem darf nicht gekündigt werden

Michael Henn, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Präsident des Verbandes deutscher Arbeitsrechtsanwälte (VdAA) spricht von einem "fatalen Irrtum": Der Chef könne seinem Angestellten grundsätzlich auch während der Krankschreibung die Kündigung präsentieren. Die Krankmeldung mache den Rauswurf nicht generell unwirksam – einen krankheitsbedingten Kündigungsschutz kenne das Gesetz nicht. Es ist grundsätzlich sogar möglich, dass der Arbeitgeber aufgrund einer Erkrankung die Kündigung ausspricht. Hierfür gibt es jedoch sehr strenge Voraussetzungen: Die Prognose muss negativ sein – und eine Ausfallzeit von mindestens sechs Wochen pro Jahr zu erwarten. Dies kann beispielsweise bei Suchterkrankungen der Fall sein.

Irrtum 6: Der Chef darf während der Abwesenheit die E-Mails des Mitarbeiters lesen

Grundsätzlich darf er das nicht. Denn hier spielt der Datenschutz eine Rolle – und, ob der Arbeitgeber dem Mitarbeiter die private Nutzung des beruflichen E-Mail-Postfaches erlaubt hat. In diesem Fall bestehen rechtliche Hindernisse und es steht sogar eine Strafbarkeit wegen Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses im Raum, erklärt Benjamin Onnis, Fachanwalt für Arbeitsrecht vom Berliner Büro der Kanzlei FPS: "Eine Durchsicht wäre mit einer Einwilligung des Arbeitnehmers möglich, allerdings werden strenge Anforderungen an eine solche Einwilligung gestellt." Zudem wäre eine solche Einwilligung frei widerrufbar.

Anders sieht es aus, wenn der Arbeitgeber die private Nutzung des Mailpostfaches nicht erlaubt hat und der Chef dieses Verbot auch konsequent durchsetzt bzw. kontrolliert. In diesem Fall dürfe der Arbeitgeber unproblematisch auf das Postfach zugreifen, so Onnis: "Es ist also Arbeitgebern dringend zu raten, die private Nutzung zu verbieten."

Irrtum 7: Der Chef kann andere Tätigkeiten vorschreiben, wenn es der gesundheitliche Zustand des Arbeitnehmers zulässt

Wer ein gebrochenes Bein hat, kann zwar nicht mehr auf der Baustelle arbeiten, dafür aber ein paar Bürotätigkeiten übernehmen. Darf der Chef das verlangen? Nein. "Der Arbeitnehmer ist arbeitsunfähig oder nicht. Es gibt hier keine "halben Sachen", sagt Rechtsanwalt Onnis. Wenn, müsse ein Arzt hier grundsätzlich prüfen, ob die Arbeitsaufgaben trotz der Erkrankung ausführbar sind und dann entscheiden.

Etwas anders liegt der Fall bei einem betrieblichen Wiedereingliederungsmanagement. Der Arbeitnehmer ist zwar weiterhin arbeitsunfähig. Nach ärztlicher Empfehlung wäre allerdings die Wahrnehmung bestimmter Arbeitsaufgaben der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben dienlich. "Die Arbeitszeit und die Arbeitsaufgaben müssen daher genauestens vom Arzt vorgegeben werden", so Onnis.

Irrtum 8: Der Mitarbeiter fühlt sich wieder fit – trotz länger andauernder Krankschreibung kann er einfach wieder anfangen, zu arbeiten

Wie oben erläutert, hat eine ordnungsgemäß ausgestellte AU-Bescheinigung einen hohen Beweiswert. Der Angestellte gilt also so lange als krank, wie auf der Krankschreibung vermerkt. Es ist aber möglich, diesen Beweiswert zu entkräften. Beispielsweise durch die Eigenerklärung des Arbeitnehmers, er sei wieder gesund. Rechtsanwalt Onnis empfiehlt aber trotzdem eine Gesundschreibung. Es könne nämlich gut sein, dass ein Mitarbeiter sich bzw. seinen Gesundheitszustand falsch einschätzt. "Der Arbeitgeber könnte bei einer Beschäftigung eines 'offiziell' Krankgeschriebenen bei Unfällen haften", sagt Onnis. Sein Rat: Um dieses Haftungsrisiko zu vermeiden, sollte man als Arbeitgeber dringend auf eine Gesundschreibung bestehen.

Wann die Krankenkasse Krankengeld zahlt

Wer krankgeschrieben ist, kriegt erstmal weiterhin sein normales Gehalt. Doch wenn die Erkrankung länger als sechs Wochen andauert, erlischt die gesetzlich geregelte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Dann haben gesetzlich Krankenversicherte einen Anspruch auf Krankengeld – eine Entgeltersatzleistung, die die Krankenkassen gewähren.

Um Krankengeld zu bekommen, muss ein Krankenversicherter infolge einer Krankheit arbeitsunfähig sein – also nicht dazu in der Lage, seine bislang ausgeübte Tätigkeit auszuführen. Das Krankengeld beträgt 70 Prozent des regelmäßigen Bruttoeinkommens.

Unter bestimmten Voraussetzungen kann Krankengeld auch von einem Elternteil beansprucht werden, das zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege seines erkrankten mitversicherten Kindes unter zwölf Jahren der Arbeit fernbleiben muss. Umgangssprachlich wird dann oft der Begriff "Kinderkrankengeld" verwendet. czy