Kretschmann fordert neuen Gesellschaftsvertrag

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Grüne, hat beim fünften Hohenloher Bauerntag zu Lichtmess „einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Bauern, Verbrauchern und dem Handel“ gefordert. Die Zustimmung der rund 1.300 Gäste in Wolpertshausen, die zum bäuerlichen Fest Lichtmess unter dem Motto „Unsere Bauern – unser Land“ in die Gemeindehallen gekommen waren, war so lautstark wie herzlich.

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    Volles Haus: 1300 Bürger und Bauern feiern in Wolpertshausen den fünften Hohenloher Bauerntag an Lichtmess.
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    Engagiert fordert Ministerpräsident Winfried Kretschmann einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Bauern, Verbrauchern und dem Handel.
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    Initiator und BESH-Gründer Rudolf Bühler erinnert an die Anfänge der bäuerlichen Selbsthilfegruppe.

Das Konzept der Veranstaltung – Bauern und Bürger treffen sich bei zünftiger Blasmusik zum gemeinsamen Essen, Trinken und Austausch – trifft den Nerv in einer Zeit, in der „grüne Kreuze, Traktorendemonstrationen und Frust wie Verbitterung“ das Bild der Landwirtschaft in der Gesellschaft prägen. Dekanin Anne-Kathrin Kruse sparte in ihrer Andacht also nicht mit aktuellen Bezügen. Doch „Schwarzer Peter ist ein Kartenspiel, keine Lösung für Probleme“, sagte die Dekanin. Das derzeitige Agrarsystem schaffe wenige Gewinner und viele Verlierer. „Wenn wir regionale Lebensmittel wollen, müssen wir einen gerechten Preis zahlen“, forderte die Theologin und beschwor eine „gerechte Gesellschaft, in der jeder das bekommt, was für ein menschenwürdiges Leben nötig ist.“

Mit diesem Ziel haben die Hohenloher Bauern bei der Gründung der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (BESH) vor 35 Jahren ihr Schicksal selbst in die Hand genommen, erinnerte Rudolf Bühler an die Anfänge der „bäuerlichen Selbsthilfeorganisation“, der heute rund 1.500 bäuerliche Betriebe angehören. „Wir haben erkannt, dass unsere Zukunft nicht in einer Massenproduktion für den Export in den Weltmarkt besteht“, sagte der BESH-Gründer und Vorstandsvorsitzende, „sondern in der Erzeugung von regional wertigen Lebensmitteln für die heimischen Märkte.“ Dies garantiere den Hohenloher Erzeugern die höchsten Auszahlungspreise in ganz Deutschland und sichere ihre Zukunft.

„So ist es uns eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns für Artenschutz und Bewahrung der Schöpfung als unsere natürliche Lebensgrundlage einsetzen“, schlug Rudolf Bühler eine Brücke in die Aktualität – zu dem vom Verein „ProBiene“ initiierten Volksbegehren für mehr Artenvielfalt in Baden-Württemberg. Er dankte dem Ministerpräsidenten, der am Runden Tisch die „auseinanderdriftenden Interessen“ geeinigt und im so genannten Eckpunktepapier einen Konsens zwischen Bauern und Bürgern hergestellt habe. Dazu gehört bekanntlich auch der Ausbau des ökologischen Landbaus. Rudolf Bühler prognostizierte: „Wenn 50 Prozent der Bevölkerung ökologische Lebensmittel zum korrekten Preis einkauft, dann werden sich auch genügend Bauern finden, dann wird die Ökologisierung der Land- und Ernährungswirtschaft keine Vision bleiben, sondern gelebte Praxis werden.“

„Ich bin gerne nach Hohenlohe gekommen, weil ich ein großer Fan der BESH bin“, machte Ministerpräsident Winfried Kretschmann der Erzeugergemeinschaft und „dem kreativen Hohenloher Dickschädel Rudolf Bühler“ ein großes Kompliment. Der grüne Ministerpräsident beschrieb in einer leidenschaftlich vorgetragenen Rede und mit eindringlichen Worten Klimawandel wie Artensterben als „dramatisch“ und sagte: „Diese Krisen müssen wir stoppen, nicht mit dem Kopf durch die Wand, aber auch nicht mit dem Kopf in den Sand.“ Deshalb habe er beim Artenschutzbegehren eingreifen müssen und den Kompromiss zwischen Bauern und Bürgern gesucht: „Wir wollen keinen Bauernkrieg.“

Für Baden-Württemberg sei das Ziel eine Landwirtschaft, die auf kleinen und mittelständigen Familienbetrieben basiert und mit modernen Methoden naturnah wirtschaftet. Dem stünde die Agrarförderung der EU entgegen: „80 Prozent der Direktzahlungen an 20 Prozent der Betriebe, das kann nicht sein“, sagte Kretschmann unter lebhaftem Applaus: „Es muss umgekehrt sein, kleine Höfe, die naturnah wirtschaften, haben Unterstützung nötig.“

Nicht nur Bauern und Politik, auch Verbraucher müssten umdenken: „Das Tierwohl hochhalten und möglichst wenig bezahlen wollen – das ist unredlich und passt nicht zusammen.“ Geiz sei nicht geil, sondern führe zu fatalen Konsequenzen, sagte der Ministerpräsident und forderte: „Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Bauern, Verbrauchern und dem Handel.“ Dafür sei ein sehr, sehr dickes Brett zu bohren. Er wolle den Schwung nach dem Kompromiss zum Volksbegehren aufgreifen, sagte er und versprach: „Ich bin bereit, dieses große Rad zu drehen und mich da noch einmal reinzuhängen.“

Mit Hubert Weiger, Ehrenvorsitzender des BUND Deutschland, ergriff im Anschluss ein prominenter Naturschützer das Wort. „Der Klimawandel ist keine Fata Morgana mehr“, stellte Weiger fest, „wir haben vor Entwicklungen gewarnt, die zunehmend Realität werden.“ Allzu häufig hätten die Bauern den Eindruck, die Diskussion würde auf ihrem Rücken ausgetragen: „Doch Bauern und Bäuerinnen sind am Ende Opfer einer Entwicklung hin zur industriellen Landwirtschaft, die wir dringend ändern müssen.“ Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen, regionale Verarbeitungsstrukturen, regionale Wertschöpfungsketten – mit seinen Forderungen sprach Hubert Weiger dem Publikum aus dem Herzen. „Die BESH kann zurecht stolz darauf sein, was auf den Weg gebracht wurde“, schloss er: „Das, was hier entstanden ist, ist nicht nur ein Modell für Hohenlohe, sondern auch eines für Deutschland, für die EU – und das gehört gefördert.“

Zweieinhalb Stunden lang lauschte Winfried Kretschmann den Reden und ließ sich Bratwürste, Schweinebauch und Kraut sowie Kaffee und Zopf schmecken. Nach einem Bad in der Menge und zahlreichen Selfies stieg er in die schwarze Limousine und fuhr ab. Einen viel beachteten Auftritt hat der Ministerpräsident damit freilich verpasst. Mit Jürgen Maurer, Vorsitzender des Bauernverbands Schwäbisch Hall-Hohenlohe-Rems, sprach erstmals ein Vertreter dieser bäuerlichen Vereinigung am Hohenloher Bauerntag. „Sie werden sich verwundert die Augen reiben, kann das sein?“, spielte Maurer auf kontroverse Positionen zwischen der BESH und dem Bauernverband in der Vergangenheit an und fuhr fort: „Ja, das kann sein und das ist gut so.“ Sein Auftreten sei als „zarter Beginn eines Dialogs“ zu werten. Er begrüße, dass es gelungen sei, den Dialog wieder aufzunehmen: „Alle sind gefordert, uns konstruktiv einzubringen – und mit Vernunft und unter Mitwirkung der Wissenschaft den Fortbestand unserer Landwirtschaft zu sichern.“

BESH, www.besh.de