Keimfrei-Technologie fürs Einkaufscenter

Nach wochenlanger Schließung der Geschäfte ist Shoppen seit Ende April wieder möglich. Um das Ansteckungsrisiko für die Kunden im öffentlichen Bereich zu minimieren, wurden in der Europa Passage Hamburg rund 100.000 Euro in den Einbau ­neuartiger Desinfektionstechnologie investiert. Das Ergebnis: eine antimikrobielle Beschichtung auf Oberflächen sowie UVC-­Desinfektionsmodule an den Rolltreppenhandläufen.

Jörg Harengerd beim Anbringen der ­Service-Hinweise für sicheres Festhalten an den Rolltreppen-Handläufen
Jörg Harengerd, Centermanager der Europa Passage Hamburg, beim Anbringen der ­Service-Hinweise für sicheres Festhalten an den Rolltreppen-Handläufen. - © Europa Passage Hamburg/Robin Lösch

Größtmögliche Hygiene- und Gesundheits-Sicherheit sind in Zeiten von Corona – und mit Sicherheit auch darüber hinaus – ein absolutes Muss, um das Ansteckungsrisiko für Kunden und Mitarbeiter in Geschäften und Einkaufszentren auf ein Minimum zu reduzieren. Dessen ist m an sich auch beim Hamburger Unternehmen ECE, dem Betreiber der rund 30.000 Qua­dratmeter und 120 Geschäfte umfassenden Mall im Herzen der H ansestadt, bewusst.

Und so haben in der Europa ­Passage vor kurzem sämtliche Geländer, Bedien­elemente an Aufzügen, Türen, Tische ­sowie Tabletts in der Gastronomie-Etage ‚Food Sky‘ eine antimikrobielle Beschichtung erhalten, welche zu einer dauerhaften Keimreduktion führen soll. Ebenfalls alle Außentüren sowie die Büroeingänge des Gebäudes. Als weitere Maßnahme wurden an den Rolltreppenh andläufen UVC-­Desinfektionsmodule eingebaut, ­ welche diese sekundenschnell während des Tr ansportumlaufs keimfrei machen.

Einbau während Zw angspause

"Nach einem ersten Pilotprojekt im ­Phoenix-Center in Hamburg haben wir die Zeit während der Schließungen im ­Einzelh andel genutzt, um den bereits ­gepl anten Einbau der Keimfrei-Technologie in der Europa Passage zügig umzu­setzen", so Centerm anager Jörg Harengerd. Insgesamt wurden 450 ­Qua­dratmeter Oberflächen mit dem ­sogen annten ­Tit ano-Verfahren beschichtet.

Zuständig hierfür war das Kölner Unter­nehmen UV-Innovative Solutions (Uvis). Ihm ­zufolge wirkt die Beschichtung aktiv ­gegen Hefepilze, Schimmel und Bak­terien und weist eine signifik ante Wirkung ­gegen Noroviren auf. Tests hätten zudem die Wirksamkeit gegenüber Viren aus der ­Corona-Gruppe gezeigt. Der ­kationische Charakter des enthaltenen Tit andioxids (TiO2) führt zu einer strukturellen Veränderung der Außenmembr an, die ein ­Absterben der Keime zur Folge hat. Damit lasse sich eine Keimreduktion von bis zu 99,99 Prozent erreichen.

Neben der Oberflächenbeschichtung ­wurden an den insgesamt 14 Rolltreppen des Einkaufszentrums im verschlossenen Bereich unter den H andläufen ­sogen annte Escalite-UVC-Desinfektionsmodul e eingebaut. Hochleistungs-UV Lampen ­machen dabei während des Tr ansportes in ­Sekundenschnelle Mikroorg anismen wie ­Viren, Bakterien, Hefen und Pilze durch die UVC-Strahlung unschädlich indem das Licht die DNA der Org anismen angreift und diese zerstört. Mit diesem nachhaltigen und zugleich umweltfreundlichen Verfahren lässt sich laut Hersteller Uvis ebenfalls eine 99,99-prozentige Keimfreiheit herbeiführen.

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    Aufbringen der antimikrobiellen Oberflächenbeschichtung via Elektrosprayverfahren
    © Europa Passage Hamburg/Robin Lösch
    Die antimikrobielle Oberflächenbeschichtung wird per Elektrosprayverfahren aufgebracht. Der Sprühende muss dabei eine persönliche Schutz­ausrüstung tragen.
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    Einbau der UVC-Desinfektionsmodule in die Rolltreppen
    © Europa Passage Hamburg/Robin Lösch
    Daneben wurden bei allen 14 Rolltreppen im Einkaufszentrum sogenannte UVC-Desinfektionsmodule im nicht sichtbaren Bereich eingebaut.
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    Vereinfachte Darstellung der Wirkungsweise der Beschichtung
    © Kenter
    So wirkt die Beschichtung: Die positiv geladene Oberfläche (33 Millivolt) zieht Bakterien an und verändert deren Außenmembran. Die Folge: Das Bakterium stirbt ab.
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    Übersicht der Reduktionsraten mit der Titano-Beschichtung
    © Kenter
    Übersicht der Reduktionsraten mit der Titano-Beschichtung.
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    Centermanager Jörg Harengerd im Einkaufscenter
    © Europa Passage Hamburg/Robin Lösch
    Jörg Harengerd ist überzeugt: "Das Ansteckungsrisiko durch Oberflächenberührungen ist in der Europa Passage Hamburg künftig nahezu ausgeschlossen."

Wie l ange hält die Wirkung an?

Je nach Be anspruchung der ­Oberfläche ­bewirkt Tit ano nach Aussage des ­Herstellers für die Dauer von bis zu zwölf Monaten, dass keine Mikroorg anismen auf den beschichteten Flächen wachsen. Damit sei eine dauerhafte Oberflächen­hygiene sichergestellt. Centerm anager Jörg ­Harengerd hierzu: "Wir werden regelmäßig Abtastproben nehmen und ­schauen, wie sich die Beschichtung l angfristig verhält. Die erste Probe nehmen wir jetzt direkt nach der Aufbringung. D anach überprüfen wir zusammen mit dem renommierten ­Hamburger Institut für Hygiene und Mikrobiologie Dr. Brill + Partner alle drei Monate, wie sich das Verhalten der ­Beschichtung entwickelt.

Je nachdem, ob es sich bei den Probestellen um stärker oder nicht so stark angefasste Bereiche h andelt, werden wir hier wahrscheinlich auch unterschiedliche Ergebnisse sehen." Ist die Keimfreiheit nicht mehr gegeben, wird durch Uvis an den entsprechenden Stellen eine partielle Nachbeschichtung durchgeführt. Die Unterhaltsreinigung der beschichteten Oberflächen durch den in der Europa Passage tätigen Dienstleister Wisag könne weiter wie gewohnt erfolgen – auch mit den bisher verwendeten Reinigungsmitteln.

Wie hoch sind die Kosten für die Tit ano-Beschichtung?

Nach den genauen Kosten pro Quadrat­meter für die Tit ano-Beschichtung gefragt, antwortet Harengerd: "Diese variieren je nach Größe der zu beschichtenden Fläche. Für größere Flächen liegen die Kosten bei etwa 1.500 Euro pro 100 Quadratmeter. Für die 450 Quadratmeter in der Europa ­Passage, die ja auch kleinere Flächen wie Türklinken, H andläufe et cetera beinhalten, haben wir rund 15.000 Euro investiert.

Und für die Wiederholungs- beziehungsweise Nachbeschichtung kalkulieren wir im Jahr mit einem fünfstelligen Betrag – ohne aber jetzt schon genau zu wissen, an welchen Stellen dies notwendig sein wird." Was schließlich die installierten UVC-­Module betrifft, lagen die Kosten – je nach Hersteller der Fahrtreppe – bei durchschnittlich 8.000 Euro pro Rolltreppe.

Dass sich durch den Invest in die neuartige Desinfektionstechnologie die Kosten für die allgemeine Unterhaltsreinigung reduzieren lassen, glaubt der Centerm anager nicht: "Kontaktflächen wie Aufzugstasten oder Geländer müssen nach wie vor ­gereinigt werden. Vielleicht nicht in dem Umf ang wie bisher; ich gehe aber nicht davon aus, dass es hier nennenswerte Einsparpotentiale gibt."

Anders würde dies bei Böden aussehen, denn: "Wenn m an ­einen Boden kristallisiert, hat m an – abgesehen von Staub und Schmutz, die nach wie vor zu entfernen sind – hinterher l ange nicht den Reinigungsaufw and wie vorher", so Harengerd. Eine weiter­gehende Beschichtung der Böden mit Tit ano ist im Einkaufszentrum allerdings nicht ­gepl ant: "Eine großumfängliche Desinfektion ­inklusive der Laufflächen würde keinen Sinn ­machen. Sprich wir konzentrieren uns g anz klar auf die H and- beziehungsweise Kontaktflächen, die wir zusammen mit dem von uns beauftragten Hygiene­institut identifiziert haben."

K ann das jeder Reinigungsdienstleister?

In der Europa Passage Hamburg wurde die Oberflächenbeschichtung – wie ­bereits erwähnt – durch den Anbieter der Uvis aufgebracht. Grundsätzlich wären jedoch auch Reinigungsdienstleister dazu in der Lage. So bietet etwa die Kenternext-­Division von Kenter das Tit ano-Verfahren ebenfalls an und stellt den Dienstleistern neben der Chemie auch die erforderlichen Gerätschaften zum Aufbringen der Beschichtung zunächst zur Miete und später auch zum Kauf zur Verfügung, inklusive der notwendigen Schulungsmaßnahmen.

Grundlage der antimikrobiellen Wirkung der Beschichtung ist das darin enthaltene Tit andioxid (TiO2). Dessen kationische Ladung (+) bindet als erstes die negativ ­geladene Außenhülle von Mikroorga­nismen wie Bakterien (positive und negative Ladungen ziehen sich an). Dadurch können sich die Bakterien nicht weiter über die Raumluft verbreiten, da sie an der Oberfläche "kleben" bleiben. Durch die Freisetzung von Protonen (Säure) der TiO2-Verbindung sowie den geringen ­Anteil von Silbersalz werden die Zellmembr an der Bakterien irreversibel zerstört und letztere abgetötet.

Wie wird die Beschichtung aufgebracht?

Die Aufbringung der Beschichtung auf die Oberflächen erfolgt mittels Elektrosprayverfahren. Hierfür muss der Dienstleister laut Kenter entsprechend geschult sein – zum einen im Umg ang mit dem Elektrosprayverfahren, zum anderen aber auch darin, wie er beim Auftragen konkret vorzugehen hat. Weiterhin ­müssen auch bestimmte theoretische Hinter­gründe ­geschult werden. Last but not least hat der Sprühende dabei eine persönliche Schutz­ausrüstung zu tragen, die ihn gegen die stark saure Suspension schützt. Dazu gehören: Sicherheitsschuhe, chemikalien­resistente H andschuhe, Schutz anzug/­Laborkittel, Schutzbrille, Gesichtsvisier und eine FFP3-Maske, die Aerosole aus der Luft filtern k ann.

Vorteil des Elektrosprayverfahrens sei, dass circa 90 Prozent der Tröpfchen auf die zu beschichtende Oberfläche fliegen, an der sie sich elektrisch entladen. ­Diese Methode vermeide Aerosole im Raum, ­sodass m an direkt nach dem Beschichten die PSA wieder ablegen könne. Nach dem Verdunsten des Wassers als einzigem ­Lösungsmittel verbleibt auf der Ober­fläche eine trockene, abriebbeständige und ­geruchlose Beschichtung.

Gibt es Gesundheitsrisiken?

Da Tit ano neben einer geringen Menge Silberchlorid zum Großteil aus Tit andioxid besteht, stellt sich unweigerlich die Frage nach möglichen Gefahren für die Gesundheit der Personen, die damit in Berührung kommen. Immerhin steht Tit andioxid im Verdacht, krebserregend zu sein. Aus dem Hause Kenter heißt es hierzu: "Toxikologische Studien haben gezeigt, dass das bei Tit ano verwendete Tit andioxid weder gentoxisch noch zelltoxisch (verschiedene Zelllinien) wirkt. Aufgrund der Abrieb­studien wird eine mögliche Entstehung von Tit andioxid-Stäuben als nicht gesundheitsschädlich eingeschätzt."

Neben Uvis betonen auch die ­Leipheimer, dass sich durch die Beschichtung mit ­Tit ano eine große B andbreite unterschiedlicher Keime (Bakterien, Hefen, Schimmel, Viren) perm anent eliminieren lasse. Erste Studien (EN 16777:2018) von Mitte April würden belegen, dass das Corona-­Virus auf diese Weise um den Faktor 4 bis 5 schneller inaktiviert werde.

Nochmal zurück zur Europa ­Passage ­Hamburg: "Unser Ziel ist es, weitere ­Praxiserfahrungen mit der Wirksamkeit der Technologie zu sammeln; auch um zu prüfen, ob der Einsatz für weitere Einkaufszentren in Frage kommt", so Centerm anager Jörg Harengerd zu den weiteren Plänen in Sachen Hygiene und Gesundheitsvorsorge im Shopping-Umfeld.