Calciumsulfat-Fließestriche: Das sind die Zutaten

Die Wachstumsrate von Calciumsulfat-Fließestrichen liegt im Durchschnitt über der des konventionellen Zement­estrichs. Begründen lässt sich das u.a. mit den Vorteilen dieses Estrichtyps, die wiederum wesentlich auf die eingesetzten Rohstoffe zurückzuführen sind.

Calciumsulfat-Fließestrich
Einbau Fließestrich - © VDPM

Eine herausragende Eigenschaft von Calciumsulfat-Fließ­estrichen ist die weitgehend fugenlose Verlegung selbst großer Estrichflächen in leicht und maschinell verarbeitbarer, fließfähiger Konsistenz. Die entscheidende Voraussetzung hierfür liefert die charakteristische Eigenschaft des Bindemittels Calciumsulfat, das unter Ausbildung hoher Festigkeiten spannungsarm aushärtet und sich im Verlauf der Austrocknung kaum verformt. Abbindefähige Calciumsulfate werden heute zur Herstellung von Baugipsen, Gipsputzen, Gipsplatten, Gips-Wandbauplatten, Calciumsulfat-Estrichen sowie Modell- und Formgipsen verwendet.

Calciumsulfat-Fließestriche lassen sich nur mit hochfesten Calciumsulfat-Bindern produzieren. In Deutschland werden zu deren Herstellung natürliche und technische Rohstoffe verwendet, die den hohen Anforderungen an Qualität, Gleichmäßigkeit und langfristiger Verfügbarkeit genügen müssen. Hier werden die Grundlagen dafür geschaffen, dass der Calciumsulfat-Fließestrich seine charakteristischen Vorteile beim Einbau und in der nachfolgenden Nutzungsphase als wesentliches Element des Fußbodenaufbaus auch tatsächlich realisieren kann.

I. Rohstoffsituation, Gewinnung, Verarbeitung

Die Bestandteile der Fließestriche auf Basis von Calciumsulfat untergliedern sich in
  • Bindemittel
  • Zusatzstoffe
  • Zusatzmittel
  • Zuschläge

1. Bindemittel

Die Bindemittel enthalten Calciumsulfat in unterschiedlichen Phasen wie:
  • Naturanhydrit,
  • Alpha-Halbhydrat,
  • Thermischem Anhydrit und
  • Synthetischem Anhydrit
Diese Calciumsulfat-Bindemittel werden allein oder in Abmischungen untereinander verwendet. Die Bindemittel bilden zusammen mit Zusatzstoffen und Zusatzmitteln den Calciumsulfat-Binder.
Calciumsulfat-Fließestrich
Tabelle 1: Festigkeitsanforderungen für Calciumsulfat-Binder (CAB) und Calciumsulfat-Compositbinder (CAC) - © VDPM

1.1 Naturanhydrit

Alle bekannten Naturgips- und Naturanhydrit-Vorkommen gehen auf chemisch-sedimentäre Entstehung zurück. Zu den natürlichen Begleitmineralien des Naturanhydrits zählen jene Sedimente, die während der Abscheidung aus dem Meer mit abgeschieden wurden, wie z. B. Kalkstein, Mergel, Ton, gelegentlich auch Sand, Bitumen oder Salze. Für die Gewinnung des Naturanhydrits zur Fließestrichherstellung beschränkt sich der Abbau auf die reinsten Lagerstätten. Diese werden im Steinbruchbetrieb und untertägig abgebaut. Naturanhydrit ist nach Experteneinschätzung in den nächsten Jahrzehnten ausreichend vorhanden.

Die Veredelung des Naturanhydrits zu einem Calciumsulfat-Binder beinhaltet im Wesentlichen die Zerkleinerung und Feinvermahlung des Rohanhydrits aus dem Abbau. Die erforderlichen Anreger werden in Mörtelmischanlagen zugegeben, in denen der Fließestrich fertig konfektioniert wird.

1.2 Technisch erzeugte Calciumsulfate

Technisch erzeugte Calciumsulfate entstehen im Allgemeinen durch die Reaktion von Zwischen- und Endprodukten aus Produktionsprozessen, z. B. Schwefeldioxid mit Calciumcarbonat (natürlicher gemahlener Kalkstein) oder Calciumhydroxid (Kalkhydrat) oder Schwefelsäure mit Flussspat. Das so erzeugte Calciumsulfat fällt dabei in feucht-feinteiliger Form als Calciumsulfat-Dihydrat (CaSO4·2 H2O) oder in stückiger, trockener Form als Calciumsulfat- Anhydrit (CaSO4) an.

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    Abbau Naturanhydrit 1
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    Autoklaven in einer Alpha-Halbhydrat-Herstellungsanlage
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    Autoklaven in einer Alpha-Halbhydrat-Herstellungsanlage
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    Rasterelektronenmikroskop-Aufnahmen von Thermischem Anhydit für handelsübliche Fließestriche
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    Rasterelektronenmikroskop-Aufnahmen von Thermischem Anhydit für handelsübliche Fließestriche
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    Flussspat als Ausgangsstoff für Synthetischen Anhydrit
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    Calciumsulfat-Fließestrich
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    Bei der Abgasreinigung der Kohleverbrenner fällt REA-Gips in großen Mengen an.

REA Gips
Gips aus Rauchgasentschwefelungsanlagen (REA-Gips) ist das feuchte, feinteilige und kristalline Calciumsulfat-Dihydrat (CaSO4·2 H2O) mit hoher Reinheit. Es wird bei der nassen Rauchgasentschwefelung mit Kalk(stein)waschverfahren nach Oxidation mit Luft und anschließender Gipsaufbereitung gezielt gewonnen. REA-Gips wird in Deutschland in mit Braun- und Steinkohle befeuerten Kraftwerken derzeit noch in sehr großen Mengen produziert. Langfristig wird REA-Gips durch den politisch beschlossenen Ausstieg aus der Kohleverstromung und die damit verbundenen Kraftwerksschließungen nicht mehr zur Verfügung stehen. Die ausreichend vorhandenen Potenziale an Naturgips können dies jedoch auffangen. Ihr untertägiger Abbau ist zudem mit weniger Genehmigungsaufwand verbunden. In der anfallenden Form als Calciumsulfat-Dihydrat (CaSO4·2 H2O) stellt der REA-Gips ein dem Naturgips vergleichbares Produkt dar, welches in speziellen Anlagen zu einem abbindefähigen Produkt kalziniert wird. Die Herstellung abbindefähiger Calciumsulfat-Binder für Fließestriche unter Verwendung von REA-Gips als Rohstoff erfordert spezielle Verfahren und Anlagen.

1.2.1 Alpha-Halbhydrat
lpha-Halbhydrat (CaSO4·½ H2O) ist ein sehr reaktiver hochfester Binder, der ohne Anreger innerhalb kurzer Zeit mit Wasser zu reagieren vermag. Anders als bei den Calciumsulfat-Bindern auf Anhydritbasis wird hier die Verarbeitungszeit durch Abbindeverzögerer geregelt.
1.2.2 Thermischer Anhydrit
hermischer Anhydrit entsteht in einem Brennprozess (Kalzinieren), bei dem das Kristallwasser des REA-Gipses vollständig ausgetrieben wird und die Oberfläche des so gebildeten Anhydrits (CaSO4) durch Versinterung auf einen günstigen Zugabewasserbedarf reduziert ist.
1.2.3 Synthetischer Anhydrit
Synthetischer Anhydrit entsteht als Koppelprodukt bei der Herstellung von Flusssäure. Ausgangsprodukte bei der Flusssäureherstellung sind Schwefelsäure und Flussspat, ein Mineral, dessen Farbgebung auch die spätere Farbe des Synthetischen Anhydrits beeinflusst.

2. Zusatzstoffe

Zusatzstoffe sind Zusätze, die der Hersteller dem Calciumsulfat-Binder oder der Mörtelmischung zur Beeinflussung der chemischen und/oder physikalischen Eigenschaften zusetzen kann. Beispielhaft hierfür stehen: Füllstoffe wie Kalksteinmehle, Puzzolane wie Trassmehl oder Flugasche.

3. Zusatzmittel

Zusatzmittel sind anorganische oder organische Komponenten, die entweder bereits als Pulver dem Binder zugemischt sind oder erst beim Herstellen der Frischmörtelmischung zudosiert werden. Ihre Zugabemenge liegt im Allgemeinen unter 5 % bezogen auf den Binderanteil. Durch ihre chemische oder physikalische Wirkung, bzw. der Kombination aus beiden, können gezielt die Eigenschaften des Estrichmörtels eingestellt werden, wie z. B. Konsistenz, Verarbeitungszeit oder Erhärtungsverhalten.

Zusatzmittel werden nach ihrer Hauptwirkung in Gruppen unterschieden. Typische Vertreter sind Anreger, z. B. Kaliumsulfat oder Portlandzement, Verzögerer auf Basis von Fruchtsäuren, Fließmittel aus Melamin- oder Naphthalinsulfonat oder Stabilisierer auf Basis synthetischer, fermentierter oder natürlicher Makropolymere.

Die Anforderungen für Calciumsulfat-Binder sind in der europäischen Norm DIN EN 13454-1 (7) wie folgt definiert :
  • Calciumsulfat-Binder (CAB) enthalten mindestens 85 M.-% Calciumsulfat.
  • Calciumsulfat-Compositbinder (CAC) enthalten mindestens 50 M.-%, jedoch weniger als 85 M.-% Calciumsulfat. Ihnen können Zusatzstoffe, z. B. Füller, Puzzolane, Pigmente oder Kunstharze, beigegeben werden.
Der pH-Wert der Calciumsulfat-Binder CAB und Calciumsulfat-Compositbinder CAC mit Wasser angemischt ist ≥ 7,0. Der Versteifungsbeginn muss ≥ 30 Minuten, das Versteifungsende ≤ 12 Stunden betragen. Die Festigkeiten der Bindemittel CAB und Compositbinder CAC müssen die in der Tabelle links aufgeführten Anforderungen erfüllen.
Schwinden und Quellen von CAB und CAC liegen im Bereich ≤ 0,2 mm/m.

4. Zuschläge

Zuschläge (Gesteinskörnungen) sind mineralische Stoffe in ungebrochenem und/oder gebrochenem Zustand mit Kornverteilungen und Kornformen, die sich für die Herstellung von Fließestrich eignen. Weit verbreitet ist hier die Verwendung silikatischer Stoffe wie z. B. Quarzsande, karbonatischer Stoffe wie z. B. Kalksteinsplitt sowie sulfatischer Stoffe wie z. B. gebrochener Naturanhydrit.

Bewährt haben sich dabei – je nach Anwendungsfall – die Korngruppen 0/2 mm, 0/4 mm und 0/8 mm mit steigenden Sieblinien. Der Zuschlag (die Gesteinskörnung) für Fließ­estriche sollte mindestens DIN EN 13139 (11) oder DIN EN 13055-1(12) entsprechen.

II. Ökologie und Nachhaltigkeit


Das Prinzip des nachhaltigen Bauens wird für Architekten, Bauherren und Planer mehr und mehr gelebte Realität. Ein nachhaltiges Gebäude zeichnet sich durch seine hohe ökologische, ökonomische und sozio-kulturelle Qualität aus. Das geplante Bauwerk wird dabei als Gesamtsystem verstanden, welches mit unserer Umwelt in direkter Wechselwirkung steht. Generell gilt: Je höherwertig ein Gebäude zertifiziert wird, desto höher sowohl sein ökologischer, ökonomischer, als auch sozio-kultureller Wert.

Calciumsulfat-Fließestriche stehen für nachhaltige Rohstoffgewinnung und nehmen Rücksicht auf bestehende Lebensräume mit Flora und Fauna. Sie sind während des gesamten Lebenszyklus‘ – bei der Herstellung, beim Einbau, in der Nutzung – ökologische und nachhaltige Baustoffe .

In Deutschland haben sich zum Thema Nachhaltigkeit unter anderem die nachfolgenden Zertifizierungs- und Bewertungssysteme durchgesetzt:
  • Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e. V. (DGNB),
  • Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB)
  • Leadership in Energy and Environmental Design (LEED
Für diese Zertifizierungssysteme sind konkrete Produktinformationen zu Nachhaltigkeitsaspekten notwendig, die als „Environmental Product Declaration“ (EPD) und umweltbezogene Anbietererklärung aufbereitet werden:
  • Environmental Product Declarations beinhalten eine Ökobilanz für ein Produkt und zeigen detaillierte Umwelteigenschaften; sie werden verwendet für DGNB- und BNB-Zertifizierungen.
  • Umweltbezogene Anbietererklärungen beinhalten Produktinfos wie Recyclinganteil und Angaben zur Regionalität und sind für LEED-Zertifizierungen relevant.
Weniger Energieeinsatz, weniger ­Materialverbrauch, weniger Verpackung

Calciumsulfat-Fließestriche sind aufgrund des verhältnismäßig geringen Energiebedarfs bei der Herstellung der verwendeten Bindemittel als besonders nachhaltige und umweltfreundliche Estrichbaustoffe einzustufen. Sie können bei gleicher Leistungsfähigkeit in dünneren Schichten eingebaut werden. Hierdurch ergibt sich bei gleicher Grundfläche ein geringerer Material- und noch geringerer Energieverbrauch . So wird zur Herstellung eines 35 mm dicken Calciumsulfat-Fließestrichs fast nur die Hälfte an CO2 ausgestoßen wie bei einem 45 mm dicken Zementestrich.* Und: Fließestriche werden in der Regel als Werkmörtel in Silos oder Fahrmischern an die Baustelle geliefert oder im Mixmobil an der Baustelle hergestellt. Hierdurch entfällt Verpackungsmüll.
*Basis: Globales Erwärmungspotenzial in CO2-Ausstoß lt. EPD (Rohstoff, Herstellung, Transporte, Montage)

Recyclinggips
m Rahmen des „WIR“-Projektes des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurde ein Forschungsvorhaben zum Thema Recycling von Gipsbaustoffen gestartet, welches auch Calciumsulfatestriche berücksichtigt. Dabei müssen die drei Felder „Rückführung“, „Aufbereitung“ und „Verwertung“ berücksichtigt werden. Derzeit ist der Anfall von Gipsbaustoffabfällen noch relativ gering. Zur Schonung von natürlichen Ressourcen soll dem Recycling von künftig zu erwartenden Mehrmengen bei Gipsbaustoffabfällen Rechnung getragen werden. Dabei besitzt das Mineral Gips den Vorteil, dass es als Bindemittel in einem Kreislauf (Brennen, Abbinden, Brennen) theoretisch unendlich häufig verwendet werden kann.

Der Autor Andres Seifert ist Leiter Arbeitskreis Technik und Marketing Estrichmörtel im VDPM.