12.09.2021

Es ist zwanzig Jahre her. Vielleicht auch nur zehn. Da haftete Nachhaltigkeitsberichten etwas Exotisches an. „Wofür der ganze Aufwand?“, wurde selbst betriebsintern gemunkelt. Umsatz zählt. Für Öko blieb wenig Zeit. Was sich nun rächt.

Dirk Biermann. Foto: Küchenplaner

Die Wissenschaft mahnt schon seit einem halben Jahrhundert, dass ein maßloser Verbrauch fossiler Brennstoffe zu ernsthaften Problemen für die Spezies Mensch und alle anderen lebenden Wesen führt. Doch hierzulande hat es zwei Hitzesommer, vertrocknende Baumplantagen, TV-Bilder von Bränden nahe der Ferienressorts und eine Flutkatastrophe gebraucht, um sich dem Ausmaß des möglichen Desasters zu öffnen. Klar, der menschengemachte Klimawandel ist schon viele Jahre ein Thema, und Eisbären, die auf einer Scholle einsam durchs Polarmeer treiben, kein schöner Anblick. Doch aus der Couchperspektive waren solche Zustände weit weg. Scheinbar beruhigend weit.


Wären da nicht längst Ahnungen des Unbehagens. Aber diese ließen sich bislang mit bewährten Gewohnheiten und der ein oder anderen Stammtischparole verdrängen. Oder mit hilfloser, unterschwellig aggressiver Ironie vom Tisch wischen. Half das alles nicht konnte immer noch auf einer permanent schlecht gelaunt wirkenden Jugendlichen aus Schweden herumgehackt werden. Hauptsache nicht wahrnehmen müssen, dass das eigene eigensinnige Verhalten zu etwas führen könnte, was sich vielleicht nicht mehr beherrschen lässt.


Nun ist die Nachhaltigkeit also im Mainstream angekommen. Ein schwieriger, weil abstrakter Begriff, doch es scheint keinen besseren zu geben. Gefühlt positioniert sich derzeit jedes Unternehmen mit seinen Aktivitäten oder versucht zumindest, das Thema für sich zu nutzen. Mal gelingt das wie von allein, mal muss der Argumentationsbogen weit gespannt werden. Denn einen Naturholzmöbelproduzenten und einen Kunststoffhersteller der chemischen Industrie trennen von Haus aus Welten. Aus einem produzierenden Gewerbebetrieb wird kein Bioland-Hof. Da helfen auch keine noch so wohlfeilen Formulierungen. Im Gegenteil: Wird die grüne Pauke zu heftig geschlagen oder gar offensichtlich gezwungen, leidet die Glaubwürdigkeit generell.

Als machte das tägliche Geschäft mit Problemfeldern wie Corona und Materialverknappung nicht schon genug Scherereien, gilt es jetzt also auch noch Haltung zu beweisen. Und die Art und Weise zu dokumentieren, wie die Erlöse erwirtschaftet werden. Damit fangen für manche Unternehmen die Probleme erst richtig an. Wer sich Jahrzehnte allein über strenge Profitmaximierung definierte und seine gesamten Strukturen daran ausrichtete, kann nicht Ad-hoc umschalten. Authentische Partnerschaften auf Augenhöhe mit Lieferanten, Kunden und Mitarbeitenden lassen sich nicht im Handumdrehen realisieren, nur weil es der CEO plötzlich für eine gute Idee hält und das Marketing auf Social Media eine Kampagne plant.


Und so ist mit den kommunizierten Nachhaltigkeitsstrategien mancherorts ein grundlegender Wandel der Unternehmenskultur vonnöten. In Industrie und Handel. Eine Herausforderung, die nicht jeder bestehen wird. Plumpes Greenwashing, das auf ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image zielt, ohne dass es dafür hinreichend Handlungsbelege gibt, mag noch vor einigen Jahren mit einem Achselzucken abgetan worden sein. Heute kann eine solche verfehlte Kommunikation Anlass für einen Shitstorm sein. Mit nicht kalkulierbaren Wirkungen.


So formulieren sich die Anforderungen an die Unternehmen aus Konsumentensicht aktuell wie von allein: Sagt, was ihr macht und macht, was ihr sagt. Klimaneutralität muss das Ziel sein. Wobei der Griff an die eigene Nase für alle gilt, beruflich wie privat. Jede Idee zählt. Und erst recht jede Tat.


Dirk Biermann

Chefredakteur KÜCHENPLANER online/offline