Direkt zum Inhalt der Seite springen

Der Klimaherd

Ein Bericht von Petra Völzing

3,5 Milliarden Menschen kochen weltweit über offenem Feuer – effizientere Kochstellen verbessern die Lebensqualität und helfen dem Klima.

In der Lehmhütte sieht man kaum die Hand vor den Augen. Beißender Qualm füllt den Raum. Eine Frau kauert mit ihren Kindern neben der primitiven Feuerstelle, auf der das einfache Mahl vor sich hinköchelt. Hier im Gangesdelta ist dies ein gewohntes Bild: Die Menschen sind arm, richtiges Brennholz gibt es auf den Inseln nicht. Die Frauen behelfen sich mit Zweigen, Laub oder Reisstroh. Während der Monsunzeit werden getrocknete Kuhdungfladen verfeuert. 

Ein unterschätztes Problem für die Gesundheit

Eine Frau kocht und ist eingehüllt von Rauch
In Indien kochen viele Millionen Haushalte auf offenen Feuerstellen ihre Mahlzeiten. Foto: Allison Joyce

Das ist nicht nur in Südindien so. In vielen Regionen der Erde bereiten sich Menschen auf diese Weise ihre Mahlzeiten zu. Die Zahl erscheint gewaltig: 3,5 Milliarden Menschen kochen bis heute über offenem Feuer. Es sind vor allem die Frauen, die mit dem Rauch eine große Menge an Schadstoffe einatmen müssen. Die WHO schätzt, dass 4,3 Millionen Menschen Jahr für Jahr an den Folgen offener Feuerstellen vorzeitig sterben – mehr als an HIV, Tuberkulose und Malaria zusammen.

Das Verbrennen von organischem Material hat auch auf das Klima enorme Auswirkungen: Die Kochpraxis über offenem Feuer trägt zu zwei bis fünf Prozent zum Treibhauseffekt auf der Erde bei. Zum Vergleich: Der Anteil der Industrienation Deutschland an den weltweiten CO2-Emissionen liegt bei 2,2 Prozent. Auch die weiteren Umweltauswirkungen sind enorm: Wälder verschwinden durch den Brennholzbedarf der Bevölkerung, Landschaften versteppen, Lebensräume für Menschen und Tiere gehen verloren. Und das Problem bekommt immer größere Bedeutung. Denn am schlimmsten sind die Auswirkungen in armen Regionen, wo die Bevölkerung am stärksten wächst – und damit auch der Brennholzbedarf.

Wenn Hilfe nicht hilft

Die Gefahren dieser Kochpraxis für Mensch und Natur sind schon lange ein Thema. Bereits in den 1950er-Jahren versuchte der indische Staat, sauberere und effizientere Kochherde zu etablieren, mit wenig Erfolg. Die Menschen kehrten bald wieder zu ihren traditionellen Feuerstellen zurück, weil die neuen Herde nicht auf ihre Alltagsbedürfnisse ausgerichtet waren. In den letzten Jahren haben viele internationale Organisationen versucht, die Kochgewohnheiten der Menschen zu ändern und so ihre Lebensqualität zu verbessern – mit ebenso wenig Erfolg.

Die Ursache wird am Versuch, in sonnenreichen Gegenden Solarkocher zu etablieren, besonders gut sichtbar: Die Technologie passte einfach nicht immer zu den Bedürfnissen, der Kultur und dem Alltag der Menschen. Denn in vielen Regionen wird erst gekocht, wenn die Sonne untergegangen und die Feldarbeit erledigt ist. Eine Erkenntnis, die daraus zu ziehen ist: Menschen müssen einfache Herde angeboten bekommen, die zu ihrer Lebenssituation passen und sich problemlos in den Alltag integrieren lassen.

Eine Großmutter mit ihren Enkeln posiert an ihrer Kochstelle.
Das Gangesdelta ist das weltweit größte Flussdelta und liegt in der südasiatischen Region Bengalen. Hier leben über 140 Millionen Menschen. Foto: Allison Joyce
Dorfansicht in sehr armen Verhältnissen, ein nacktes Kind läuft herum.
Auf den zahlreichen Inseln des Deltas, dessen westlicher Teil im indischen Bundesstaat Westbengalen liegt, lebt ein Großteil der Bevölkerung in Armut. Foto: Allison Joyce
Ziegen, Schafe und Rinder stehen und fressen, im Hintergrund Palmen
Lebensgrundlage sind Viehhaltung … Foto: Allison Joyce
An einem Fluß, im Hintergrund ein Reisfeld und ein Weg, auf dem Fahrräder unterwegs sind.
… und der Anbau von Reis. Foto: Allison Joyce
Eine hübsche Frau in einem leuchtend roten Sari kocht vor einer qualmenden Feuerstelle in einer ärmlichen Behausung
Wie fast überall auf der Welt, ist auch hier das Kochen Frauensache. Foto: Allison Joyce
Einer Mutter sitzt auf dem Boden und kocht, im Hintergrund zwei kleine Kinder in einer Hängematte.
Die einfachen Feuerstellen stehen oft im Inneren der traditionell aus Lehm gebauten Häuser. Foto: Allison Joyce
Rinden und Reisstroh in Plastiksäcken
Brennmaterial sind Äste, Zweige, Laub, Reisstroh. Foto: Annette Etges
Zwei Frauen und ein Mann mit Sonnenschirm sammeln Kuhdung am Straßenrand nebenebnem Reisfeld.
Und Kuhdung. Ein einfach zu gewinnender Brennstoff, der allerdings erst gesammelt, … Foto: Allison Joyce
Eine Frau von oben fotografiert, formt aus dem Kuhdung Fladen.
… dann zu kleineren Fladen geformt, … Foto: Allison Joyce
Eine Kuh steht vor einer verfallenden Lehmhütte, Kuhfladen sind zum Trocknen and die Lehmwand geklebt.
… und – mitunter auf unkonventionelle Weise – in der Sonne getrocknet werden muss. Foto: Allison Joyce

Effizientere Kochstellen gegen Emissionen – und gegen Armut


Im weitverzweigten Gebiet des indischen Gangesdeltas wird dieser Ansatz nun verfolgt: Auf der Insel Manmathnagar sitzen zehn Männer und drei Frauen auf dem Dorfplatz und folgen den Ausführungen von Ravindra Deshmukh von der Organisation Samuchit. Er bringt ihnen bei, wie sie mit einfachen Mitteln besonders effektive Lehmherde bauen können. Das besondere an diesen Herden: Sie verbrauchen weniger Brennmaterial und erzeugen viel weniger Rauch und Ruß.

Entwickelt wurden sie in einem deutsch-indischen Gemeinschaftsprojekt, das die Gesundheit der Menschen und das Klima schützen, aber auch die Armut bekämpfen will. Denn für die 13 Männer und Frauen, die Ravindra Deshmukh ausbildet, bietet das Projekt auch eine Aussicht auf ein regelmäßiges Einkommen: Es sind viele Herde auf den zahllosen Inseln im Gangesdelta, die ersetzt werden müssen.

Wir sehen gerade bei Menschen, die nicht an ein Stromnetz angeschlossen sind, welch bedeutende Rolle Erneuerbare Energien spielen können.

Georg Amshoff, greenap e. V.
Indische Frauen  Männer sitzen und schauen in die Kamera.
In Vorbereitung des greenap-Projektes wurde auf Dorftreffen das Thema Kochen intensiv diskutiert – und dadurch so spannend, dass auch die Männer begannen, sich dafür zu interessieren. Foto: Allison Joyce

Initiiert wurde dieses Projekt von Georg Amshoff und Sabine te Heesen mit ihrer Organisation «green energy against poverty» (greenap). «Wir sehen gerade bei Menschen, die nicht an ein Stromnetz angeschlossen sind, welch bedeutende Rolle Erneuerbare Energien spielen können»; sagt Amshoff. Angefangen hat das Ehepaar 2011 mit einem Solarlampenprojekt im Gangesdelta. Dabei wurden schwach funzelnde und rußende Petroleumlampen durch Solarlampen ersetzt, Solarkioske zum Aufladen der Lampen errichtet und Frauen zu Solartechnikerinnen ausgebildet.

Durch das Projekt konnte erreicht werden, dass Schulkinder besseres Licht für ihre Hausaufgaben haben und Erwachsene abends Haus- und Erwerbsarbeiten ausführen können. Mit den genossenschaftlich organisierten Solarkiosken entstand zudem eine soziale und wirtschaftliche Struktur, die das Leben in den Dörfern verbesserte. Bei seinen Projektbesuchen wurde Georg Amshoff auf die vielen Erkrankungen durch primitive Kochstellen aufmerksam. Gemeinsam mit seinen indischen Projektpartnern packte greenap das Problem an.

Zuhören, um zu verstehen

Prima Karve hört einem Gesprächspartner zu
Priya Karve, Leiterin der Organsiation Samuchit und Mitinitiatorin des Herdprojektes. Foto: Annette Etges

Den ersten Schritt für das Herdprojekt machte die Partnerorganisation Samuchit und deren Leiterin Priya Karve. Die Physikerin wusste, dass die verbesserten Herde von den Menschen nur angenommen werden, wenn sie sich nahtlos in den Alltag der Menschen integrieren lassen. Priya Karve ist in die Dörfer gegangen, hat mit den Menschen geredet und gut zugehört: Wird mit einem Topf gekocht oder mit zwei? Wie oft wird Fladenbrot gebacken? Wie groß sind die Familien, und wie groß sind die Töpfe, die verwendet werden?

Diese Informationen hat Priya Karve akribisch erfasst und aufgearbeitet. Für das Projektgebiet im Gangesdelta hat Samuchit einen Lehmherd entwickelt, der den Anforderungen der Familien entspricht und einfache, aber sehr effektive Verbesserungen enthält. Am wichtigsten ist der Feuerrost aus Metall: Dank des Rostes kommt Zugluft von unten, das Brennmaterial verbrennt nahezu vollständig, es entwickelt sich weniger Rauch.

Allein durch diese Verbesserungen sparen wir fast die Hälfte an Brennmaterial und verringern den Kohlendioxidausstoß um mindestens 60 Prozent.

Priya Karve, Samuchit

Mit den Herden verbunden ist auch ein Mikrowirtschaftskreislauf. 250 Rupien soll ein Herd kosten: 130 Rupien für Material und 120 für die Herstellung. Für die arme Bevölkerung eine nicht unerhebliche Summe, die etwa zwei Tageseinkommen entspricht. Auf diese Weise erhält der Herd allerdings eine Wertigkeit, und die Herdbauer können ihren Lebensunterhalt damit verdienen.

Die Gruppe der Workshopteilnehmer im Porträt.
Die Gruppe der angehenden Herdbauer, Kleinunternehmer und Multiplikatoren präsentiert sich stolz mit ihren neuen, nachhaltigen Herden. Foto: Allison Joyce
Die Metallteile, die zum Herdbau benötigt werden
Für den Kochherd, in Indien «Chula» genannt, wird zunächst eine zusammengesetzte Negativform aus Metall benötigt. Foto: Allison Joyce
Eine Mann und eine Frau befallen die Metallform mit Lehm.
Die Workshopteilnehmer bauen jeweils in Zweierteams einen Herd. Foto: Allison Joyce
Ein anderes Paar über eine mit Lehm gefüllte Metallform gebeugt.
Die Form wird dafür vollständig mit Lehm ausgefüllt, … Foto: Allison Joyce
Die Metallform nah, Hände formen den Lehm
… der Lehm festgedrückt und die Metallform am Ende wieder entfernt. Foto: Allison Joyce
Zwei Frauen in leuchtenden Saris formen Lehm für die vor ihnen stehende Lehmherd-Grundform
Die so hergestellten Grundformen werden anschließend weiter bearbeitet. Foto: Allison Joyce
Die Workshopteilnehmer im intensiven Austausch
Die Workshopleiter Ravindra Deshmukh und Fieldworker Dilip Gayen diskutieren immer wieder Detailfragen mit den Teilnehmern. Foto: Allison Joyce
Der Workshopleider sitzt und erklärt den umstehenden Teilnehmern das vor ihm liegende Ofenteil.
Ravindra Deshmukh erläutert die Funktion des Feuerrostes aus Gusseisen, der speziell für das Projekt angefertigt wurde. Er ermöglicht eine deutlich effizientere Verbrennung. Foto: Allison Joyce
Der Workshopleiter erklärt das Kaminrohr, die Gruppe um ihn herum.
Der Verbrennungseffekt kann durch die Installation eins Kaminrohres noch weiter gesteigert werden, zudem wird der beißende Qualm damit endlich aus dem Inneren der Häuser verbannt. Foto: Allison Joyce
Die Gruppe hat sich um die fertigen Lehmherde, vor den mit Reisstroh gedeckten offenen Hütten versammelt.
Das Projekt Lehmherdbau bietet für die Schulungsteilnehmer nicht nur die Chance, im eigenen Haus gesundheitsschonender zu kochen. Es ist auch ein möglicher Schritt hin zu einer neuen Erwerbsquelle. Foto: Allison Joyce
Savita Sardar verputzt den neuen Herd mit einer Kelle
Savita Sardar baut den fertigen Herd bei sich zu Hause ein. Foto: Allison Joyce
Sauvita Sardar schaut freudig auf den neu eingebauten Lehmherd.
Nun fehlt der glücklichen angehenden Herdbauerin nur noch der letzte Arbeitsschritt: Die Brennkammer mit dem bereits installierten Kaminrohr zu verbinden. Foto: Allison Joyce
Der neue kaum 40 Zentimeter hohe Lehmherd in der einfachen Hütte.
Der neue Herd mit zwei Feuerlöchern für unterschiedliche Topfgrößen ist fast fertig. Nur das Kaminrohr muss noch nach draußen geführt werden. Foto: Allison Joyce

Ein neuer Handwerkszweig entsteht

Eine der angehenden Herdbauerinnen ist Savita Sardar. Ihr Mann arbeitet auf dem Feld. Als Hausfrau und Mutter – ihre Töchter sind elf und sechs Jahre alt – ist die 26-Jährige traditionell für die Zubereitung der Familienmahlzeiten zuständig. In ihrer Küche mit dem einfachen Lehmherd hat sie sehr unter dem starken Qualm gelitten, der beim Kochen entstand. Wegen Atemschwierigkeiten und Problemen mit den Augen war sie häufig in der Krankenstation. Jetzt nimmt sie an den Herdbau-Workshops teil. Während dieser Zeit kocht ihre Schwiegermutter für die Familie. In ihrem eigenen Haus hat sie bereits einen neuen Herd gebaut. Nun will sie andere Frauen über die Vorteile aufklären und weitere Herde bauen.

Solider Plan, gute Erfolgsaussichten.

Damit das Projekt sich am Ende wirtschaftlich trägt und dadurch nachhaltig etablieren kann, hat Samuchit einen Businessplan erarbeitet: Als eine Art Anschubfinanzierung wird Material für 250 Herde zur Verfügung gestellt werden. Fieldworker Dilip Gayen vom Projektpartner Kolkata Mary Ward Social Centre (KMWSC) wird neben der Organisation der Trainings auch die Abläufe des Herdbaugeschäfts koordinieren. Bei ihm werden interessierte Familien den Bau eines Herdes buchen können. Die Aufträge gibt er dann an die Herdbauer weiter, die in Zweierteams arbeiten. An einem Tag werden sie so bis zu vier Herde anfertigen können.

Im Frühjahr 2018 werden Mitarbeiter von Samuchit erneut auf die Insel Mammathnagar kommen. Dann wollen sie die Bewohnerinnnen und Bewohner  befragen, wie sich ihr Alltag verbessert hat, und herausfinden, wie viel Brennmaterial und CO2 durch die neuen Lehmherde eingespart wurde.

Die Lehmherde werden den Menschen helfen und das Leben auf der Insel nachhaltig verbessern.

Georg Amshoff, greenap e. V.

Georg Amshoff ist mehr als zuversichtlich: Er ist auch überzeugt, dass diese Vision nicht nur im Gangesdelta, sondern auch in anderen Regionen der Welt Wirklichkeit werden kann.

Georg Amshoff und Sabine te Heesen bei der Reisevorbereitung

Georg Amshoff und Sabine te Heesen, Initiatoren von «green energy against poverty». Der Verein mit Sitz in Bonn will mit Hilfe von Erneuerbaren Energien die Armut in Ländern des Globalen Südens bekämpfen und so gleichzeitig gegen den Klimawandel angehen. So werden Entwicklungsprojekte für die Ärmsten im umfassenden Sinn nachhaltig und sozial.

Ihre Spende für dieses Projekt
Wenn Sie direkt für das aktuelle Projekt im indischen Gangesdelta spenden möchten, finden Sie hier das Online-Spendenformular.

Mehr zum Thema

  • Ausbilder Ravindra Deshmukt präsentiert einige Lemkochstellen

    Der Klimaherd wirkt

    Bei der EWS-Weihnachtsaktion 2017 kamen 80.000 Euro für gesundheits- und klimaschonende Herdzusammen. Nun wird das Projekt ausgeweitet. Der Mitinitiator Georg Amshoff im Gespräch mit Petra Völzing.

  • Mädchen mit WADI

    Sauberes Wasser für Uganda

    Nach der Weihnachtsaktion der EWS von 2016 konnten 2.800 WADIs nach Uganda gespendet werden. Sie sorgen durch solare Wasserdesinfektion für sauberes Trinkwasser. Ein Nachbericht von Lisa Rüffer.

13. November 2017 | Energiewende-Magazin