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Krishneil Narayan – Stimme der Südsee

Ein Porträt von Benjamin von Brackel

Für seine bedrohte Heimat Fidschi und die anderen kleinen Inselstaaten im Pazifik fordert der Klimaaktivist Unterstützung – und den Kohleausstieg.

Krishneil Narayan hat seine Hand zur Faust geballt, sie umschließt etwas. Gerade läuft auf dem Bonner Klimagipfel eine Diskussion unter Energieexperten aus aller Welt über den Kohleausstieg, die er organisiert hat. Er wartet die letzte Frage aus dem Publikum ab, springt auf und zeigt auf den Schlüsselanhänger, der in seiner Hand zum Vorschein kommt. «1.5° is key», steht darauf. «1,5 Grad ist der Schlüssel.»

Wir sind die verletzlichsten Länder der Welt.

Krishneil Narayan, Klimaaktivist
Eine Karte der Südsee, die Fidschi-Inseln sind mit einem roten Kreis markiert.
Die Inselgruppe Fidschi im Südpazifik. Illustration: Dikobrazik

Mit der Zahl auf dem Anhänger ist das Temperaturziel des Pariser Klimaabkommens gemeint: Bis zum Ende des Jahrhunderts soll die Weltgemeinschaft die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad begrenzen – andernfalls dürften kleine Inselstaaten wie die Marshallinseln, Kiribati oder Tuvalu wohl untergehen. Inseln, die Narayan in Bonn vertritt, wo Mitte November die Klimadiplomaten ein Regelwerk für die Umsetzung des Pariser Klimavertrags vorbereiten. «Wir sind nur ein kleiner Punkt in der Welt, wir haben nicht viel zum weltweiten Klimawandel beigetragen», sagt Narayan. «Aber wir sind die verletzlichsten Länder der Welt.»

Der Klimawandel ist im Paradies angekommen

Der 30-jährige Chef von 56 Nichtregierungsorganisationen im Pazifikraum ist das Sprachrohr für eine Region, in der Klimawandel längst Alltag ist. Im Namen der Inselstaaten im Südpazifik will Narayan die Industrieländer in die Pflicht nehmen. Dafür spricht Krishneil Narayan – genannt Krish – mit Staatssekretären aus Deutschland und Ministern aus der Republik Fidschi, das Land, das den Bonner Klimagipfel leitet. Er versorgt Journalisten mit Informationen, koordiniert Aktivisten und spricht vor Staats- und Regierungschefs. Er kämpft um nicht weniger als den Fortbestand seiner Heimat und zwar gegen die Beharrungskräfte und nationalen Egoismen der großen Staaten. «Es geht hier um das Überleben meiner Generation. Wenn ich einmal alt sein werde, werde ich dann noch in meiner Heimat leben können? Werden meine Kinder noch in der Lage sein können, in diesem schönen Paradies zu leben, wie ich es kenne?»

Wenn ich jetzt nicht aufstehe und etwas dagegen tue, werde ich das bereuen.

Krishneil Narayan, Klimaaktivist

Für einen 30-Jährigen sind das erstaunliche Sätze. Aufgewachsen ist der Sohn eines Versicherungsvertreters und einer Bankangestellten in Suva, der Hauptstadt Fidschis. «Am Küchentisch war der Klimawandel kein Thema», erzählt er mit einer Stimme, die immer etwas heiser klingt. «Es war uns überhaupt nicht klar, dass es ihn gibt.»

Das änderte sich erst, als er begann Chemie und Biologie zu studieren. Ein Aha-Erlebnis. «Ich konnte auf einmal eine Verbindung herstellen zwischen dem, was die Menschen in den Dörfern über verschwindende Ufer erzählten und dem, was die Wissenschaft sagte.»

 

Krishneil Narayan zwischen zwei Männern mit nackten Oberkörpern und Knochenschick um den Hals
Vermittler zwischen den Welten: Krishneil Narayan und zwei Landsmänner in einem Zelt auf dem Klimagipfel in Bonn. Foto: Hajü Staudt

Vom Verständnis zum Handeln

Neben seinem Studium arbeitete er ehrenamtlich für Greenpeace. «In dieser Zeit wurde mir klar, wie wichtig der Kampf gegen den Klimawandel für uns, die Jugend, ist», sagt er. «Denn es ist unsere Zukunft, die auf dem Spiel steht, während unsere Staatenlenker von heute nicht mehr leben werden, wenn es richtig schlimm wird.»

Schließlich kam der Anruf, der sein Leben verändern sollte. Es war das Jahr 2009, Narayan hatte gerade erst seinen Uniabschluss in der Tasche und versuchte, die Jugend auf den Fidschi-Inseln für den Klimawandel zu sensibilisieren. Irgendwie fand das die Aufmerksamkeit von Al Gore – der ihn einlud, ihn auszubilden. Zusammen mit 800 weiteren Aktivisten aus dem Pazifikraum verbrachte Narayan im Juni 2009 mit dem ehemaligen US-Vizepräsidenten und Nobelpreisträger fünf Tage in einer Halle in Melbourne. Noch heute hängen zwei Fotos von Gore in Narayans von Energiesparlampen beleuchteten Büro. «Ich war der erste Jugendliche aus Fidschi, der ein Training direkt von einem Nobelpreisträger bekommen hat», sagt er mit Stolz in der Stimme.

Anfang November auf dem Bonner Klimagipfel sitzt Narayan in der dritten Reihe einer Zuschauerempore, neben ihm die ockerfarbene Winterjacke, die er sich vor zwei Jahren in Berlin gekauft hat – auf Fidschi braucht er sie nicht. Er hat Kiribatis ehemaligen Präsident Anote Tong eingeladen, hier zu sprechen. Nun verfolgt er, wie Tong über die Abkehr von fossilen Energien redet. «Lasst uns über die Fakten reden», sagt Tong.

Wenn wir die Kohle nicht im Boden lassen, dann sind wir in ziemlich großen Schwierigkeiten.

Anote Tong, kiribatischer Präsident a. D.

Narayan blickt durch seine schwarze Hornbrille auf sein Smartphone und scrollt die Nachrichten runter, während Tong Länder wie Deutschland ermahnt: «Es bringt nichts, wenn wir beim Klimaschutz nur eine gute Figur abgeben, aber in Wirklichkeit nichts tun.»

Damit spielt er darauf an, dass sich Deutschland auf internationaler Bühne als Klimavorreiter feiern lässt, während in der Amtszeit von Angela Merkel die CO2-Emissionen kaum gefallen sind und Kohlekraftwerke weiterlaufen. Wenige Tage später wird Narayan im Plenarsaal verfolgen, wie Merkel den Klimawandel erst als «die zentrale Herausforderung der Menschheit» bezeichnet und auch als Schicksalsfrage für die kleinen Inselstaaten, dann aber erklärt, dass in einem Land wie Deutschland auch soziale Fragen, Arbeitsplätze und Wirtschaftlichkeit eine Rolle spielen würden. In den Ohren von Narayan klingt das so, als hätte sie gesagt: Deutschland könne doch keine Einbuße in seinem Wohlstand akzeptieren, nur um ein paar Inselvölker vor dem Untergang zu bewahren.

Keine Entschädigung von den Verursacherstaaten?

Diese Sicht verstärkt sich, nachdem in Bonn die Ländervertreter entscheiden, eines der Hauptanliegen der kleinen Inselstaaten fürs erste zu beerdigen. Es geht um die Frage, ob die Industriestaaten die ärmsten Länder des Globalen Südens entschädigen sollen, für Schäden durch den Klimawandel, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Schließlich haben Länder wie Fidschi kaum etwas zum Klimawandel beigetragen, aber müssen dessen Folgen am stärksten ausbaden – ohne das Geld zu haben, sich darauf einzustellen.

Schäden durch Dürren zum Beispiel, die Ernten vernichten, Schäden durch Zyklone oder den Meeresspiegelanstieg, wenn Küstendörfer im Wasser versinken oder Salzwasser von unten in den Boden eindringt, woraufhin das Getreide eingeht und das Trinkwasser versalzt. 

Familie Dirit steht im Wasser vor ihrem Haus auf Stelzen
Wenn die Flut kommt, klatschen die Wellen an die Unterseite der Hütten: Lusiana Dirit´s Haus ist nur dank der Stelzen-Bauweise noch trocken. Foto: Jeff Tan
Eine Familie steht vor ihrem Haus, unmittelbar vor ihnen die durch Erosion entstandene Küstenlinie.
Auf Fidschi hat das Meer in manchen Landesteilen schon Dutzende Meter an Ufer weggefressen – kommende Generationen werden in die Berge fliehen müssen. Foto: Jeff Tan
Eine Mutter sitzt mit Kindern auf einem Bettgestell in den Trümmern ihres Hauses.
Im Februar 2017 starben 44 Menschen, als der Zyklon Winston die Fidschi-Inseln verwüstete. Besonders hart traf es die Vulkaninsel Koro Island. Foto: Jeff Tan
Zwei Kinder stehen in einem zerstörten Haus von dem nur noch ein Pfeiler und die Tür stehen.
Auf Koro Island zerstörte Zyklon Winston ganze Dörfer – die Holzhäuser waren damals noch nicht mit Hilfe von Tauen zyklonenfest gebaut worden. Foto: Jeff Tan
Mutter sitzt mit Säugling vor einem zerstörtem Haus.
Durch den Zyklon Winston verloren Tausende Familien ihr Zuhause. Bis heute leben viele Bewohner Fidschis in Hilfszelten. Foto: Jeff Tan
Eine Familie flechtet mit ihren Kindern aus Leisten einen neuen Fußboden für ein Haus.
Obdachlos gewordene Familien sind auf die solidarische Hilfe ihrer Nachbarn angewiesen. Der Regierung fehlt oftmals das Geld. Foto: Jeff Tan
Ein kleiner Junge hilft mit einem großen Hammer bei Hausbau.
Der vierjährige Alosi Vhavathiti hilft, das Haus seiner Familie wieder aufzubauen. Foto: Jeff Tan
Mutter sitzt auf dem gebauten Wall am Wasser, die Kinder springen ins Wasser.
Ohne den Wall, dessen Bau von einer NGO gefördert wurde, wäre das Dorf Nukui bereits «weggewaschen», sagt Dorfvorsteher Rusiate Goweva Foto: Jeff Tan
Am Strand ist eine Palme abgestorben und umgefallen, im Hintergrund ist der Wall zu sehen.
Das Meerwasser versalzt die Böden und führt zum Absterben der Vegetation, wie hier auf Turuga Island. Ufermauern reichen oft nicht aus, um Sturmfluten aufzuhalten. Foto: Jeff Tan
Eltern mit ihrem Kind sitzen auf dem Boden ihrer Hütte.
Usaia Sovakalia und Lavinia Kakua hoffen, mit ihren drei Kindern bald in ein höher gelegenes Gebiet umsiedeln zu können. Foto: Jeff Tan
Ein Mann posiert mit seiner Schaufel vor einer Siedlung, die am Hang liegt.
«Gelobtes Land» – so tauften die Bewohner von Vunidogoloa ihr neues Dorf, nachdem sie im Januar 2014 wegen des Meeresspiegelanstiegs in die Berge umziehen mussten. Foto: Jeff Tan

Kann man den Industrieländern trauen?

In der Konferenzsprache heißt all das «Loss and Damage» – Schäden und Verluste durch den Klimawandel. Geld aber wird es in absehbarer Zukunft für solche Fälle nicht geben, entschieden die Verhandler in Bonn. Die Industrieländer fürchten eine Welle von Kompensationsforderungen. Für Narayan ein Unding, dass sich die Industrieländer so davonstehlen.

In der zweiten Woche der Klimakonferenz hat er seinen ersten großen Auftritt. Er hat sich ein gestreiftes Hemd angezogen und eine Krawatte umgebunden. Nach einer Gender-Expertin, einem Wirtschaftsvertreter und einem Umweltaktivisten aus Ghana darf er im großen Plenarsaal sprechen. Eine Minute.

«Ich heiße Krishneil Narayan», sagt er langsam ins Mikrofon. Er betont jedes Wort. Dann erzählt er von einer «neuen Realität der massiven Zerstörung und der verheerenden Verluste» in den Inselstaaten, angetrieben durch die Erderwärmung. Die Antwort des Gipfels darauf sei völlig unzureichend; auf dem Spiel stünde das Vertrauen in die Industrieländer. Mit dem Abschiedsgruß Fidschis, «Vinaka Vakalevu», beendet Narayan seine Rede und hebt die Hand zum Dank.

Allianzen und Roll-backs

Es gibt auch Fortschritte in Bonn: Kanada und Großbritannien schmieden gemeinsam mit anderen Ländern eine Allianz, die sich zu einem Aus für die Kohle bis 2030 verpflichten will, darunter Frankreich, Italien, die Niederlande und Mexiko. Allerdings wollen immer noch eine Reihe von Ländern an der Kohle festhalten – wie Deutschland, wie Polen, dessen Parlament zeitgleich zum Bonner Klimagipfel die Möglichkeit für weitere Kohlesubventionen geschaffen hat. Oder die USA, deren Regierungsvertreter in Bonn Kohle, Gas und Atomkraft als Energiemix der Zukunft anpreist. Das sollte man gar nicht so sehr beachten, findet Narayan.

Je mehr wir die USA ins Rampenlicht rücken, desto mehr fördern wir Trumps Agenda.

Krishneil Narayan, Klimaaktivist

Überhaupt wurde auf dem Klimagipfel in Bonn eines offensichtlich: Der Pakt, den die Welt in Paris geschlossen hat, ist überaus zerbrechlich. Bekommen die Länder des Globalen Südens das Gefühl, dass den Versprechen der Industrieländer nicht zu trauen ist, könnten sie sich ihrerseits quer stellen.

 

Ein Kind sitzt im Gras am am Meer, im Wasser steht eine Palme.
Wegen des Anstiegs der Meere plant die Regierung die Umsiedlung von knapp 50 Dörfern in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Foto: Jeff Tan

Ein Scheitern auf dem Rücken der armen Länder?

In Bonn blockierten Länder wie China und Indien zunächst die Verabschiedung der Agenda, weil die Industrieländer ihren Verpflichtungen bis zum Jahr 2020, ab dem das Pariser Klimaabkommen gilt, nicht nachkommen wollten. «Wir dürfen nicht bis 2020 warten, um Klimaschutz zu betreiben», sagt Narayan. «Wir müssen aber aufpassen, dass wir in den Verhandlungen nicht zu viele neue Töpfe öffnen.» Denn der Streit zwischen Entwicklungs- und Industrieländern könnte am Ende auf dem Rücken der kleinen Inselstaaten ausgetragen werden, welche die Folgen des Klimawandels zuerst spüren werden.

Auch beim Versprechen, den vom Klimawandel am stärksten gebeutelten Ländern des Globalen Südens ab 2020 jährlich mit 100 Milliarden Dollar unter die Arme zu greifen, gibt es kaum Fortschritte – weshalb diese drohen, die Verhandlungen scheitern zu lassen. Nun will Frankreichs Präsident Macron am 12. Dezember einen Extra-Gipfel zu der Frage abhalten.

Drängende Fragen, kaum noch Zeit

Am Freitag, dem Abschlusstag des Klimagipfels darf Narayan im großen Verhandlungssaal vor den Staats- und Regierungschefs und Ministern reden. Er postiert sich neben der Flagge der Vereinten Nationen. Dann sagt er: «Wir müssen die Menschen nach vorne rücken beim Kampf gegen den Klimawandel und auf ihre Stimmen hören.» Das ist das, was er in all den Jahren gelernt hat, seit er auszog, um in den Dörfern über den Klimawandel zu sprechen. «Wir sitzen alle im gleichen Kanu», bezieht er sich auf das Nationalsymbol seines Landes. «Lasst uns zusammen rudern, uns schneller bewegen und keine Zeit verlieren, indem wir über die Gestaltung jedes Ruders diskutieren.» Denn das ist es, was die kleinen Inselstaaten am wenigsten haben: Zeit.

Portrait von Krishneil-Narayan
Krishneil Narayan

Krishneil Narayan wurde in Fidschis Hauptstadt Suva geboren. Er war Fidschis Jugendvertreter für Klimaschutz, beriet die Regierung, wurde Chef der Jugend-Klimabewegung «Project Survival Pacific» und leitet heute den NGO-Verbund «PICAN» (Pacific Islands Climate Action Network). Seine erste Klimakonferenz war ausgerechnet die von Kopenhagen – welche 2009 spektakulär scheiterte.

Krishneil Narayan auf Twitter

Video von «Project Survival Pacific»

05. Dezember 2017 | Energiewende-Magazin