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Altmaiers Mogelpackung

Ein Kommentar von Peter Ugolini-Schmidt

Das Ziel der Koalition, den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 65 Prozent zu erhöhen, bleibt mit ihrem mutlosen «Klimapaket», was es ist: Rosstäuscherei.

Mitte November 2019 war es so weit: Der Bundestag verabschiedete das Klimaschutzgesetz, ein dicker Brocken des Anfang Oktober durch die Bundesregierung veröffentlichten «Klimaschutzprogramms 2030». Das Gesetz soll ab 2021 verbindliche Ziele zur Reduktion von CO2-Emissionen unter anderem in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Energiewirtschaft einführen. Die Koalitionäre jubelten, die SPD sprach von einem «Riesenschritt» und die CDU/CSU lobte sich dafür, «gute Politik zu machen, während andere nur schreien».

Die Opposition sah dies erwartungsgemäß anders. «Mit diesem Gesetz wird nicht das Klima gerettet, sondern höchstens die fragile GroKo vor dem Verfall», so die Linke. Auch die Wissenschaft und Zivilgesellschaft machten ihren Unmut deutlich. So bezeichnete das PotsdamInstitut für Klimafolgenforschung das Klimapaket als «völlig unzureichend». Kritik und Enttäuschungen sind mehr als berechtigt. Warum? Weil es dem Klimaschutzpaket – das allenfalls ein «Päckchen» ist – an wirksamen und rechtssicheren Maßnahmen fehlt, die endlich klipp und klar vorgeben, wie die Klimaschutzziele umgesetzt werden. Und weil es den dafür so notwendigen Ausbau der Erneuerbaren eher verhindert, als ihn zu fördern.

Wer glaubt noch Altmaiers Zuversichtsbekundungen?

Diese Kritik perlt an einem, der maßgeblich an dem Päckchen mitschnürte, natürlich ab: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist wieder mal hochzufrieden mit sich. Das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel, den Anteil an Erneuerbarer Energie bis 2030 auf 65 Prozent zu erhöhen, sei nun «sicher» erreichbar. Sicher? Wer mag Altmaier, dem Totengräber der Energiewende, nach all seinen Attacken gegen die Erneuerbaren in den letzten Jahren noch glauben? Ich jedenfalls nicht – und dafür gibt es gute Gründe.

Beginnen wir von vorne: Im Frühjahr 2018 vereinbarten CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag, den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 65 Prozent am Bruttostromverbrauch zu steigern. Diese Vorgabe floss so dann in das Klimapaket ein. Damit soll die Gesamtleistung der Erneuerbaren von etwa 104 Gigawatt (GW) auf 185 bis 189 im Jahr 2030 angehoben werden. Doch das reiche für die Pariser Klimaschutzziele bei Weitem nicht aus, urteilt beispielsweise die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE). Nach deren Analysen müssten bis 2030 mindestens 217 GW installiert sein, neben Photovoltaik vor allem viel Windenergie an Land. Und gerade die will die Bundesregierung von 53 GW über die nächsten zehn Jahre lediglich auf 67 bis 71 GW ausbauen. Dabei sehen die Experten einen deutlich höheren Ausbaubedarf, den die FfE auf 93 GW bis 2030 beziffert.

Der Wirtschaftsminister: ein verkappter Windkraftgegner?

Schon seit einiger Zeit entwickelt sich die Windenergie zum Sorgenkind der Energiewende. In der gesamten Republik werden Windenergieprojekte systematisch vor Gericht gezerrt, was deren Realisierung um Jahre verzögert. Zudem mangelt es immer mehr an ausgewiesenen Flächen.

Altmaier kennt diese Probleme. Deswegen hatte er in den letzten Monaten zu mehreren Windgipfeln geladen. Doch was davon in das Klimapaket einfloss, verschlechtert die Bedingungen für Windenergie sogar: Windräder sollen in Zukunft nur noch mit einem Mindestabstand von 1.000 Metern zur Wohnbebauung errichtet werden dürfen. Dass damit der für den Klimaschutz unerlässliche Ausbau der Windenergie nahezu vollständig zum Erliegen kommen würde, bestätigt selbst ein eigens vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beauftragtes Gutachten. Ist Altmaier gar ein Windkraftgegner?

Und sein «65-Prozent-Ziel ist sicher» ist daher ungefähr so belastbar, wie Norbert Blüms «Die Rente ist sicher» es war. Aber Altmaier geht es gar nicht darum, mit den Erneuerbaren voranzukommen. Nein, ihm liegt einzig und alleine daran, den Schein zu wahren, dass die Regierung beim Klimaschutz tatsächlich aktiv sei. Und genau darum will Altmaiers Wirtschaftstruppe nun die ewig gepriesene, aber wenig geliebte kleine Schwester der Erneuerbaren aus dem Hut zaubern: die Energieeffizienz.

So geht sein Ministerium einfach mal davon aus, dass der Bruttostromverbrauch bis 2030 sinke: Statt heute 599 Terrawattstunden (TWh) sollen in 2030 nur noch 588 TWh verbraucht werden. Da sich das 65-Prozent-Ziel am Stromverbrauch bemisst, müssten so praktischerweise weniger Erneuerbare zugebaut werden.

Zur Einschätzung: Einsparungen in vergleichbarem Ausmaß gab es zuletzt 2014, als die Wirtschaft schwächelte. Einen regelrechten Einbruch beim Energieverbrauch in Deutschland – um die 40 TWh – hatte es 2009 als Folge der globalen Wirtschaftskrise gegeben.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Altmaiers Energierasselbande setzt jetzt anscheinend auf eine schrumpfende Wirtschaft. Das erwartet man eher aus der Ecke radikaler Ökosozialisten – aber doch nicht von der CDU, die stets dem Wirtschaftswachstum das Wort redet. Und schon gar nicht von einem Wirtschaftsminister, der vor Jahren – damals noch als Umweltminister – frühzeitig die Energieeffizienzziele 2020 kassieren wollte.

Wie soll das klappen? Der Stromverbrauch ist seit Beginn der 1990er-Jahre im Durchschnitt gestiegen. Und auch bei den Szenarien für 2030 deutet nichts auf einen sinkenden Stromverbrauch hin. So erwartet «Agora Energiewende» 619 TWh Verbrauch in 2030 – und auch die «Deutsche Energie-Agentur» geht von moderat steigenden Verbräuchen aus. Der Knackpunkt: Mögliche Effizienzgewinne sind bei beiden Szenarien längst eingerechnet.

Das Ammenmärchen von den Effizienzpotenzialen

Wirft man nun abschließend einen Blick in das Klimaschutzpäckchen, dann fragt man sich, wie eigentlich immer, wenn es um Energieeinsparung geht: Wo bitte wird denn der kleinen Schwester unter die Arme gegriffen? Freiwillige Energieeffizienz-Netzwerke und Reallabore tun es auf jeden Fall nicht. Und mehr bietet das Klimaschutzpäckchen leider nicht.

Das Getöse um das 65-Prozent-Ziel ist also ein reines Ammenmärchen. Weder will Altmaier der großen Schwester richtig auf die Beine helfen, noch beabsichtigt er, die kleine Schwester voranzubringen. Schlimmer noch: Altmaier spielt die beiden gegeneinander aus. Ein cleverer Schachzug, mit dem er sich mit jenen gemein macht, die mit dem SUV zum Protest gegen Windräder anreisen und dort krakeelen, dass man das Windrad nicht brauche, wenn man nur endlich Energie einsparte.

Was bei all den Ammenmärchen, Ankuscheleien bei Windkraftgegnern und verlogenen Zahlenspielen übrig bleibt, ist die Erkenntnis, dass der Regierung Koalitionsfrieden und Klientelpolitik weiterhin wichtiger sind, als endlich wirksamen Klimaschutz zu betreiben. Wir müssen daher auch in den nächsten Wochen zu Hunderttausenden auf die Straße – und der Bundesregierung eindrücklich demonstrieren, dass sie mit ihrer verantwortungslosen Politik schlicht nicht durchkommen wird.

 

Porträt eines jungen Mannes im Grünen
Peter Ugolini-Schmidt

wurde 1981 in Mar­burg geboren. Der stu­­dier­­te Politik- und Wirt­schafts­wissenschaftler arbeitet seit über zehn Jahren im Bereich Energie- und Klimapolitik. Seit 2018 ist er Energiepolitischer Sprecher der EWS. Er lebt mit seiner Frau und Tochter in Berlin.

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02. Dezember 2019 | Energiewende-Magazin