Arbeiten mit Behinderung Der beste Mann im Job

Düsseldorf · Dennis Winkens ist vom Hals abwärts gelähmt. Er hat einen festen Job und ist für seinen Chef unentbehrlich. Sein Glück ist eine Ausnahme. Winkens kritisiert die Inklusionsarbeit von Ämtern, Arbeitgebern und Krankenkassen.

 Dennis Winkens arbeitet als Online-Redakteur bei der Firma Moso in Remscheid. Glück am Arbeitsmarkt haben nicht viele Behinderte.

Dennis Winkens arbeitet als Online-Redakteur bei der Firma Moso in Remscheid. Glück am Arbeitsmarkt haben nicht viele Behinderte.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Sein Arm sieht aus wie aus einem Terminator-Film. Silberne Metallstreben scheinen unter einer Hartplastik-Schale hervor. Der Arm surrt leise, wenn er sich bewegt. Doch Dennis Winkens ist keine Maschine, sondern nur auf eine angewiesen: „Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch.“ Diese Botschaft hat auf seinem Weg ins Berufsleben längst nicht jeder verstanden, und den heute 30-jährigen Viersener viel Überzeugungsarbeit gekostet.

Vor 13 Jahren hatte Winkens einen schweren Unfall mit dem Mountainbike. Was folgte, war ein Jahr in Klinik und Reha mit der Erkenntnis, dass der damals 17-Jährige sein Leben lang im Rollstuhl sitzen wird. Daran gefesselt ist er übrigens nicht. Er hasst diese Floskel. „Da sind ja keine Ketten dran“, sagt er und lacht. Mit genau dieser Einstellung geht er seinen Start ins Berufsleben an. Er macht sein Fachabitur nach und möchte so schnell wie möglich nur eins: einen ganz normalen Job. „Das, was möglich ist, will ich schaffen“, ist sein Lebensmotto.

Doch die Ansichten darüber gehen beim ersten Termin im Arbeitsamt auseinander. Der Sachbearbeiter will ihn in einem Berufsbildungswerk unterbringen, wo er die ganze Woche verbringt und nur am Wochenende nach Hause darf. „Auf Abschieben habe ich keine Lust“, stellt Winkens klar. Er möchte morgens ins Büro fahren und abends wieder nach Hause. Aber ihm werden immer neue Steine in den Weg gelegt. „Ich musste ein psychologisches Gutachten machen lassen, ob ich überhaupt für einen kaufmännischen Beruf geeignet bin.“ Die anderen Absolventen der Höheren Handelsschule müssen das nicht. Es dauert ein Jahr, bis er sich endlich auf Stellen bewerben darf.

Was so schwierig anfing, hat sich inzwischen zum Guten gewendet. Schnell bekam Winkens einen Ausbildungsplatz zum Bürokaufmann. Danach wurde er zwar nicht übernommen, fand aber direkt eine andere Stelle. Heute arbeitet er als Online-Redakteur bei der Remscheider Firma Moso, die Rollstühle aller Art herstellt und vertreibt. „Mein Chef wollte unbedingt jemanden mit Handicap im Team haben. Ich hatte Glück“, sagt Winkens.

Das hat nicht jeder. Denn Inklusion ist für Winkens längst nicht im Arbeitsmarkt angekommen. Er kennt viele Menschen mit Behinderung, die gerne arbeiten würden. „Manche kommen einfach nicht zum Job, weil andere keine Lust haben, sich vernünftig darum zu kümmern“, sagt er Richtung Arbeitsamt. Aber auch Arbeitgeber müssten offener werden. „Die meisten sehen erstmal nur Kosten“, kritisiert Winkens.

„Ich habe keine Kosten gesehen, sondern nur Chancen“, sagt Klaus Gierse, Geschäftsführer von Moso, zu seiner ersten Begegnung mit Winkens. Inzwischen arbeiten die beiden seit Jahren zusammen. „Er ist auf Augenhöhe mit den Kunden. Ich wüsste nicht, wer den Job besser machen könnte“, sagt Gierse. Er hat kein Verständnis für Arbeitgeber, die sich vor Kosten für Umbaumaßnahmen scheuen. Es gebe mehr als genug Fördermittel, und ein barrierefreier Bau sei auch unabhängig von Angestellten mit Handicap bereichernd für eine Firma: „Die Mutter mit Kinderwagen wird es einem danken.“

Genauso wie Dennis Winkens. Er steuert seinen elektrischen Rollstuhl nur über Taster an Kopf und Kinn. Im Neubau seiner Firma kommt er so überall hin. Die Türen haben zum Beispiel Bewegungsmelder, und den großen Aufzug kann er per App steuern. Der Eingang zum Bürogebäude ist ebenerdig. Ein bis zweimal in der Woche fährt er in die Firma nach Remscheid. Ansonsten ist er im Home Office in seinem Elternhaus in Viersen unterwegs.

Sein Prunkstück ist „Jaco“: der am Rollstuhl befestigte Roboter-Arm. Seit drei Jahren kann er sich auf diese Weise selbstständig etwas zu trinken eingießen und das Glas zu seinem Mund bewegen – oder sich auch einfach mal an der Nase kratzen. „Vorher ging das nur per sozialer Sprachsteuerung“, sagt Winkens mit einem Grinsen.

Zudem kann der junge Mann mit Hilfsmitteln wie einer Mundmaus oder einem Mundcontroller Computer bedienen. Am liebsten spielt er online mit Freuden.

Solche technischen Hilfsmittel zu bekommen, sei jedoch alles andere als einfach. Er und andere hätten oft Ärger mit den Krankenkassen. Schon die Begründung auf dem ärztlichen Attest müsse sehr überzeugend sein, um überhaupt eine Chance zu haben. „Auf die Einreichung kommt meist aus Prinzip erstmal eine Ablehnung“, ärgert sich Winkens. Aber genauso aus Prinzip schreibt er einen Widerspruch zurück.

Trotz technischen Fortschritts und aufgeschlossenem Arbeitgeber gibt es für Winkens immer noch viele Grenzen. Er hofft, dass sich diese in Zukunft weiten. „Autonomes Fahren würde auf jeden Fall helfen“, sagt Winkens. Bisher kann er mit seinem Rollstuhl nur ins Auto hinein, aber nicht selbst damit fahren. Wenn er sich den Durchbruch einer Innovation wünschen könnte, wäre die aber noch ambitionierter: „Es wäre toll, wenn man mit seinen Gedanken technische Geräte steuern könnte.“ Auch daran arbeiten Forscher. Ob es soweit kommt ist offen. Für Winkens macht es am Ende keinen Unterschied: „Ich will einfach raus und das mitmachen, was ich mitmachen kann. Ich will die Chancen nutzen, die ich bekomme.“

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