Fragen und Antworten Rechnen wir das mit der Grundrente doch einmal kurz durch...

Wer ein Leben lang gearbeitet hat, soll nicht zum Sozialamt: Deshalb plant der Sozialminister die Grundrente. Doch sie produziert neue Ungerechtigkeiten. Fragen und Antworten.

Der Beifall des früheren SPD-Chefs Sigmar Gabriel war Sozialminister Hubertus Heil gewiss. Heils Vorschläge zur Grundrente seien „fair, gerecht und überfällig“, twitterte Gabriel. „Er bringt das Sozialministerium auf Kurs, das noch vor zwei Jahren die Grundrente gemeinsam mit dem Kanzleramt verhindert hatte. Gut so.“ Das ging gegen die aktuelle Parteichefin Andrea Nahles, die vor zwei Jahren Sozialministerin war. Insgesamt aber fiel das Echo gemischt aus, die Kanzlerin lehnt den Vorschlag ab. Kein Wunder, Heils Grundrente hat viele Haken.

Wem soll die Grundrente helfen? Das Problem wird über Parteigrenzen hinweg gesehen: Es gibt Menschen, die haben ihr Leben lang gearbeitet und bekommen doch nur eine gesetzliche Rente, von der sie nicht leben können. Denn die Rentenversicherung arbeitet nach dem Äquivalenzprinzip: Wer wenig verdient und wenig Beiträge einzahlt, bekommt später auch wenig heraus. Zwar lässt der deutsche Staat die Menschen nicht hängen: Wo die Rente nicht zum Leben reicht und keine anderen Einkünfte vorhanden sind, springt die Grundsicherung ein. Das ist zwar nicht Hartz IV, doch auch dafür müssen die Senioren zum städtischen Grundsicherungsamt und ihre Bedürftigkeit nachweisen.

Wie funktioniert die Grundrente? Der Sozialminister will den Rentnern nun den Gang zum Amt ersparen und hat das Konzept für eine Grundrente vorgelegt. Danach soll die Rentenversicherung auf kleine Renten einen Zuschlag von bis zu 447 Euro im Monat zahlen – und zwar automatisch und ohne Bedürftigkeitsprüfung. Der Betroffene muss also nicht seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegen. „Lebensleistung verdient Respekt: Wer ein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, muss im Alter mehr haben als die Grundsicherung“, heißt es im Eckpunkte-Papier des Bundessozialministers.

Wer soll Anspruch auf Grundrente haben? Alle, die mindestens 35 Jahre sogenannte Grundrentenzeiten vorweisen können. Das sind laut Eckpunkte-Papier jene Zeiten, in denen der Betroffene sozialversicherungspflichtig gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat. 35 Jahre Arbeit als Minijobber reichen dagegen nicht aus, um Anspruch zu erwerben. Interessant: Die Zuschläge soll es nicht nur für künftige Rentner geben, sondern auch für heutige. Bei der Anerkennung von Lebensleistung könne man keine Unterschiede machen, so Heil in seinem Papier.

Wie berechnet sich die Grundrente? Grundlage für die Berechnung sind die Entgeltpunkte. Jeder, der arbeitet und Rentenversicherungsbeiträge zahlt, sammelt schon jetzt solche Entgeltpunkte. Pro Jahr Durchschnittsverdienst (derzeit rund 38.000 Euro brutto) gibt es einen Entgeltpunkt. Die Zahl der im Arbeitsleben angesammelten Entgeltpunkte wird multipliziert mit dem Rentenwert, und das ergibt die monatliche Rente.

Wer nun im Schnitt seines Arbeitslebens auf weniger als 0,8 Entgeltpunkte kommt, für den soll es den geplanten Zuschlag geben. Dafür werden für 35 Jahre die individuellen Entgeltpunkte verdoppelt. Ein Beispiel: Eine Friseurin hat 40 Jahre zum Mindestlohn gearbeitet und im Schnitt 0,4 Entgeltpunkte erworben. Das macht bei einem Rentenwert von aktuell rund 32 Euro eine Monatsrente von 512 Euro. Nach Heils Plan bekommt die Friseurin künftig für 35 Jahre noch einmal 0,4 Entgeltpunkte gutgeschrieben, was ihr einen Zuschlag von 448 Euro bringen würde. Insgesamt würde ihr damit die Rentenkasse 960 Euro brutto pro Monat überweisen.

Wann endet der Zuschlag? Bei höheren Renten wird der Zuschlag nach Heils Plan allmählich abgeschmolzen. So soll der durchschnittliche Entgeltpunkt maximal auf 0,8 angehoben werden. Ein Beispiel dazu: Eine Krankenschwester hat 40 Jahre gearbeitet, darunter aber wegen ihrer Kinder viel Teilzeit, sodass sie nur auf durchschnittliche 0,7 Entgeltpunkte kommt. Das bedeutet nach den aktuellen Regelungen eine monatliche Rente von 896 Euro. Doch auch diese Krankenschwester soll nach Heils Plänen noch einen kleinen Zuschlag bekommen: Für 35 Jahre sollen ihr noch 0,1 Entgeltpunkte gutgeschrieben werden, was ihr einen Zuschlag von 112 Euro bringen würde. Insgesamt würde ihr damit die Rentenkasse 1008 Euro brutto pro Monat überweisen. Brutto heißt: Krankenkassenbeiträge gehen davon noch ab.

Wer soll das bezahlen? Das Ganze soll mehrere Milliarden kosten – und zwar Jahr für Jahr. Genaues weiß man noch nicht, auch die Zahl der Anspruchsberechtigten ist noch unklar. Die Rentenversicherung pocht darauf, dass das Geld aus dem Bundeshaushalt kommt. Zu Recht. Denn es handelt sich eindeutig um eine versicherungsfremde, gesamtgesellschaftliche Leistung, die nicht allein Betriebe und Arbeitnehmer schultern dürfen. In jedem Fall werden damit künftige Generationen auf Dauer belastet.

Schafft das Ganze mehr Gerechtigkeit? Nein. Zum einen wird damit das Äquivalenzprinzip ausgehebelt, denn die Höhe der Rente richtet sich dann nicht mehr nur nach dem Beitrag. Das schafft neue Ungerechtigkeiten: Was soll denn ein Arbeitnehmer zu dem 448-Euro-Zuschuss für die Friseurin sagen, der sich 960 Euro Rente selbst erarbeitet hat? Vielleicht, weil er sich mehr fortgebildet oder als beruflich mobiler erwiesen hat? Der zweite Knackpunkt ist der Wegfall der Bedürftigkeitsprüfung. Damit können auch Menschen, die zwar wenig sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben, aber dennoch über ein hohes Vermögen verfügen, in den Genuss der geplanten Grundrente kommen. Die sprichwörtliche Zahnarzt-Gattin lässt grüßen. Die Grundrente ist damit eine Art bedingungsloses Grundeinkommen für Senioren. Mit dem Fürsorgeprinzip, wonach der Staat Bedürftigen hilft, aber ansonsten jeder für sich einsteht, hat sie nichts zu tun.

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