Internationale Politik Die Saudis und die Angst des Westens

Staatlich angeordnete Grausamkeiten gehören zur Politik Saudi-Arabiens. Doch Europa und Amerika protestieren nicht. Ihre Interessen sind ihnen wichtiger als Demokratie. Das Ergebnis: Friedhofsruhe statt echter Stabilität.

Ein halbes Jahr nach dem brutalen Mord an dem Dissidenten Jamal Khashoggi hat Saudi-Arabien in dieser Woche die internationale Öffentlichkeit mit einer barbarischen Massenhinrichtung aufgeschreckt. 37 Menschen wurden enthauptet – mindestens einer von ihnen wurde außerdem gekreuzigt. Unter den Opfern war ein junger Mann, der als 16-Jähriger bei einer Kundgebung für mehr Demokratie festgenommen worden war. Doch der Westen protestiert nicht. Europa und Amerika haben Interessen auf der saudischen Halbinsel, die ihnen wichtiger sind als die Demokratie.

Auf den ersten Blick passen die Hinrichtungen nicht zu dem Bild, das Saudi-Arabien gerne von sich verbreitet. Bricht das Land nicht gerade in eine neue Zukunft auf? Der junge Thronfolger Mohammed bin Salman („MBS“), der starke Mann im Staat, hat sich ein ehrgeiziges Reformprogramm vorgenommen: Saudi-Arabien soll sich nicht mehr auf sein Öl verlassen, sondern als Hightech-Land glänzen. Der Kronprinz hat Frauen das Recht auf den Führerschein eingeräumt und die Kinos wieder öffnen lassen. In den USA wurde der Thronfolger im Weißen Haus und in Hollywood hofiert.

Doch die saudischen Reformen zielen nicht auf mehr Demokratie und Mitsprache – sie sollen vielmehr die Macht der Königsfamilie zementieren. Deshalb ließ MBS kurz vor der Abschaffung des Fahrverbots für Frauen gerade jene Frauenrechtlerinnen einsperren, die das Recht auf einen Führerschein einforderten: Nicht die Zivilgesellschaft, sondern allein das Königshaus bestimmt, was erlaubt wird und was nicht, lautete die Botschaft. Widerspruch wird nicht geduldet. Khashoggi wurde im saudischen Konsulat in Istanbul getötet und anschließend zerstückelt, weil er in der „Washington Post“ kritische Kolumnen über sein Land geschrieben und eine Rückkehr abgelehnt hatte.

Schon beim Mord an Khashoggi zeigte sich, dass Mohammed bin Salman von westlichen Staaten kaum etwas zu befürchten hat. US-Präsident Donald Trump nahm den Kronprinzen in Schutz, während Frankreich und Großbritannien das deutsche Waffenembargo gegen die Saudis kritisierten: Die europäischen Partner wollen dem Königreich trotz des Khashoggi-Mords weiter Rüstungsgüter liefern und brauchen dazu Zulieferungen aus der Bundesrepublik. Auch der von MBS angezettelte Krieg im Nachbarland Jemen läuft weiter, ohne dass der Westen etwas unternimmt.

Die Abhängigkeit vom Öl ist einer der Gründe, warum Europa und Amerika so nachsichtig mit den saudischen Machthabern umgehen. Der saudische Staatskonzern Aramco fördert jeden Tag mehr als zwölf Millionen Barrel Öl, mehr als jeder andere Produzent der Welt. Riad kann die Fördermenge – etwa als Reaktion auf Kritik aus dem Westen – jederzeit kürzen und Europäern wie Amerikanern damit große Schwierigkeiten bereiten. Geld ist ein anderes Motiv: Das Gesamtvermögen der saudischen Herrscherfamilie wird auf 1,7 Billionen Dollar geschätzt. Niemand will sich durch harsche Kritik an der Familie Saud lukrative Milliarden-Aufträge verderben.

Wenn es einmal westliche Gesten der Unzufriedenheit gibt, dann werden sie rasch wieder zurückgenommen. Unmittelbar nach dem Khashoggi-Mord hatten viele internationale Spitzenmanager eine saudische Investorenkonferenz boykottiert – bei einer ähnlichen Veranstaltung diese Woche waren zahlreiche Geschäftsleute wieder dabei. Larry Fink, Chef der Investment-Firma Blackrock, schwärmte von „ziemlich erstaunlichen“ Veränderungen im Königreich. Er hätte auch einfach sagen können: Schwamm drüber.

Noch wichtiger sind politisch-strategische Überlegungen bei westlichen Regierungen. Donald Trump, sonst kein Freund der leisen Töne, hält sich mit Kritik an Riad zurück, weil er die Saudis für seine Nahost-Pläne braucht. Trump will in der Region ein Bündnis gegen den Iran schmieden und die arabischen Staaten dazu bewegen, im Palästinenserkonflikt einem Friedensplan zugunsten Israels zuzustimmen.

Das saudische Königreich mag undemokratisch sein – es ist aber ein verlässlicher Partner des Westens. Die Befürchtung, in Saudi-Arabien könnten eines Tages antiwestliche Kräfte die Macht übernehmen, ist ein wichtiger Grund dafür, warum MBS mit seinen Reformversprechen in den vergangenen Jahren im Westen gefeiert wurde: Ein stabiles Saudi-Arabien ist wichtig für die Sicherheit Europas und Amerikas.

Das Problem mit diesem Argument ist, dass es Stabilität mit einer Friedhofsruhe gleichsetzt, die langfristig die Risiken eher erhöht als entschärft. Zwei von drei Bewohnern Saudi-Arabiens sind jünger als 30 Jahre – und werden eines Tages möglicherweise genauso auf ein Mitspracherecht pochen, wie es die Menschen in Algerien und im Sudan derzeit tun.

Der Plan von MBS ignoriert diese absehbaren Herausforderungen für das Königreich. Er beruht auf einer wirtschaftlichen Öffnung bei einer strikten und mit Gewalt durchgesetzten Absage an politische Entfaltungsrechte für die Bürger: Saudi-Arabien soll reich bleiben, aber nicht freier werden. Die radikale Islam-Ideologie des Wahhabismus gibt dem Staat eine zusätzliche strenge Ordnung im Interesse des Könighauses.

Doch auch Saudi-Arabien lässt sich in Zeiten des Internets nicht mehr vom Rest der Welt abschotten. Youtube und Facebook haben jeweils mehr als 20 Millionen saudische Nutzer, das sind mehr als zwei Drittel der Bevölkerung. Auf Instagram und Twitter sind jeweils etwa 17 Millionen Saudis aktiv.

Rufe nach Veränderungen sind unausweichlich und werden auf Dauer mit Massenhinrichtungen nicht zu bekämpfen sein. Der Westen sollte deshalb schon im eigenen Interesse die saudische Führung zum Umdenken bewegen, statt bei staatlich angeordneten Grausamkeiten betreten zu schweigen.

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