Dr. Jens Baas

Warum der Morbi-RSA zum 10. Geburtstag eine Bremse braucht

Pünktlich zum zehnten Geburtstag des „morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs“ (kurz Morbi-RSA) will die Politik den komplexen Verteilmechanismus von seinen Kinderkrankheiten kurieren. Nun wurde ein mutiges Eckpunktepapier vorgelegt. Jetzt heißt es: Bei der Umsetzung nicht nachlassen!

Die Ursachen für die vom RSA ausgelöste Schieflage liegen bekanntermaßen vor allem in der nicht Berücksichtigung regionaler Besonderheiten sowie im grundlegenden Fehlanreiz, jene Krankheiten für Kassen lukrativ zu machen, die Medizinern Spielräume bei der Diagnosestellung lassen.

Politik gibt das richtige Signal

Mit dem heute veröffentlichten Eckpunktepapier signalisieren die Verantwortlichen den klaren Willen, den Finanzausgleich gegen Manipulationen zu wappnen und einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen – auch wenn der Entwurf das umstrittene Vollmodell beinhaltet. Ein aktuelles Expertengutachten zeigt, dass ein ungebremstes Vollmodell immense Auswirkungen auf die dokumentierte Krankheitslast in Deutschland haben kann. Das Problem: Dadurch werden alle Krankheiten im Morbi-RSA ausgleichsfähig – das weitet den Kodieranreiz grundsätzlich deutlich aus.

Warum ein „Vollmodell pur“ fatal wäre

Dass dabei vor allem die kostengünstigeren, häufigeren Erkrankungen das Kernproblem des RSA sind, ist wissenschaftlich belegt: Die Fallzahlen bestimmter ausgleichsrelevanter Erkrankungen steigen hierzulande schon heute deutlich stärker an, als internationale Vergleichszahlen für Deutschland erwarten lassen. Besonders problematisch sind Diagnosen, die nicht klar abgrenzbar sind, und somit Ansatzmöglichkeiten für Kodierbeeinflussung bieten.

Damit nun aus dem RSA-Vollmodell nicht das „volle Manipulations-Modell“ wird, braucht ein reformierter RSA mit Vollmodell also zum einen wirksame Manipulationsbremse, wie sie Gesundheitsminister Spahn nun auch klar auf die Agenda gesetzt hat. Zum anderen muss es in andere Reformvorhaben eingebettet sein, so etwa eine Vereinheitlichung der Aufsicht oder die Einführung eines Regionalfaktors.

Das schlüssige und umsichtige Gesamtkonzept, das mit den Eckpunkten aus dem Bundesgesundheitsministerium kam, funktioniert daher nur in seiner Gesamtheit und darf nicht verwässert werden. Das Eckpunktepapier setzt die richtigen Schwerpunkte – es wäre fatal, wenn davon am Ende nur ein Vollmodell übrig bliebe. Diese zentrale Reform im Gesundheitswesen würde dann – statt einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen – den Weg zu Manipulation 2.0 ebnen und das Wettbewerbsprinzip im Gesundheitswesen vollends ad absurdum führen.

Manipulationsbremse dringend nötig

Zehn Jahre Morbi-RSA haben eine Kluft im Wettbewerb der Kassen hinterlassen – ein Bild, das hoffentlich bald der Vergangenheit angehört.

Das Vollmodell braucht also eine Manipulationsbremse. Diese ist durch die Schwächung von Diagnosen mit auffällig ansteigenden Fallzahlen auch bereits skizziert. Sie muss jedoch sofort in Kraft treten – nicht erst dann, wenn die neue Vielfalt an Spielraum-Diagnosen die Kluft im Wettbewerb noch weiter vergrößert hat.

Fairness braucht Regionalisierung

Neben dieser Manipulationsbremse zeigt das Papier, dass man im Bundesgesundheitsministerium aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Lehren zieht: Bislang wurden regionale Unterschiede im Finanzausgleich nicht berücksichtigt – im Gegensatz zu anderen demografischen Merkmalen. Dass es regionale Kostenunterschiede gibt, hat der Wissenschaftliche Beirat in seinem zweiten Gutachten zweifelsfrei festgestellt.
Die im Entwurf beschriebene Regionalkomponente ist hier ein guter erster Schritt auf dem Weg zu mehr Fairness.

Manipulationsbremse und Regionalfaktor – sind zentrale Elemente, nach zehn Jahren Morbi-RSA endlich den Grundstein für einen fairen Wettbewerb zu legen – trotz der geplanten Einführung eines Vollmodells.

Fairness-Faktor Alter

Nicht nur Wohnort und dokumentierte Morbidität sind Faktoren, die in der bisherigen Gestaltung des Morbi-RSA zu Problemen führten. Auch das Alter von Versicherten hat Einfluss auf „Über-“ bzw. „Unterdeckungen“. Das Eckpunktepapier stellt richtig fest, dass es dadurch zu „Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen“ kommt. Der Vorschlag, diese durch sogenannte „Altersinteraktionsterme“ zu lösen, also die Morbiditätszuschläge nach Alter zu staffeln, ist ein weiterer Schritt in Richtung fairer Wettbewerb.

Prävention soll sich bald wieder lohnen

Ein zentraler Kritikpunkt am System Morbi-RSA war bislang: Der Schlüssel zu Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds ist die Dokumentation relevanter Diagnosen. Irrelevant hingegen ist für den Ausgleich, was die Kassen tun, um diese Diagnosen zu verhindern – sprich, für die Gesundheit ihrer Versicherten zu sorgen. Auch dafür hat der Entwurf eine sinnvolle Antwort gefunden: Eine Vorsorgepauschale soll diese Schieflage begradigen und etwa die Nutzung von Früherkennungsuntersuchungen berücksichtigen.

Aufsicht: Eine für alle!

Was man dem Team um Gesundheitsminister Spahn nicht vorwerfen kann, ist Scheu vor heiklen Themen.
Auch zur durchaus wettbewerbsrelevanten Frage, wer die neuen Spielregeln im Morbi-RSA überwacht, hat sich die Politik Gedanken gemacht. Bislang sind unterschiedliche Instanzen für diese Aufgabe zuständig: das Bundesversicherungsamt für die bundesunmittelbaren Kassen und die jeweilige Landesaufsicht für die regionalen. Das soll sich laut Eckpunktepapier künftig zugunsten gleicher Bedingungen für alle ändern. Ein Ziel, das die TK ausdrücklich begrüßt.

Hausarzt-HMG-Modell – warum eine Prüfung sinnvoll ist

Wissenschaftliche Analysen zeigen, dass vor allem bestimmte ambulante Diagnosen in den hinter uns liegenden „RSA-Jahren“ steil anstiegen – viel steiler als internationale Vergleichsdaten. Das Eckpunktepapier konstatiert, dass „identische Diagnosen von Haus- und Fachärzten derzeit zu gleichen Zuschlägen führen, obwohl die hausärztliche Versorgung bei vielen Krankheiten in der Regel zu niedrigen Ausgaben führt“.

Folgerichtig ist eine Datenerhebung geplant. Sie soll klären, inwiefern hier Bedarf besteht, diese unterschiedlichen Kostenstrukturen auszugleichen – also die Zuschlagshöhe auch davon abhängig zu machen, ob für eine Erkrankung tatsächlich Kosten für eine fachärztliche Behandlung entstehen. Auch das ist ein sinnvoller Schritt im Rahmen des Gesamtkonzepts.

Fazit: Das Eckpunktepapier zeigt, dass sich der Gesundheitsminister diese große Reformaufgabe nicht einfach gemacht hat. Im Gegenteil, der Entwurf geht die bekannten Probleme umfassend an und setzt mutig Schwerpunkte. Diese gilt es nun als Gesamtpaket nachzuhalten, damit der Morbi-RSA gesund erwachsen werden kann.

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