Die Krankheit wird gerade im ländlichen Raum aufgrund der geringeren diagnostischen Möglichkeiten erst später erkannt. Wie gut Menschen mit kognitiven Einschränkungen, also zum Beispiel mit Defiziten bei Gedächtnis, Aufmerksamkeit oder Konzentration, speziell in ländlichen Gebieten im Freistaat versorgt werden, ist bislang unzureichend erforscht.

Aus diesem Grund wurde 2019 digiDEM Bayern ins Leben gerufen. "digiDEM Bayern ist ein digitales Demenzregister, um die Versorgung von kognitiver Beeinträchtigung und leichter Demenz im zeitlichen Verlauf zu erforschen. Und es ist eine Plattform, die digitale Angebote zur Verfügung stellt und somit Betroffene und Angehörige besser unterstützt", erklärt Prof. Dr. Elmar Gräßel von der Psychiatrischen Universitätsklinik Erlangen. Er ist einer der drei Projektleiter von digiDEM Bayern.  

Bayernweites Screening

Für die wissenschaftliche Arbeit rund um Demenz fehlen momentan noch verlässliche Daten aus der Bevölkerung, speziell für Bayern. Wie viele Menschen haben bereits eine leichte kognitive Beeinträchtigung oder leichte Demenz? Welche Angebote stehen ihnen zur Verfügung und wo gibt es Lücken in der Versorgung?

Ein bayernweites Screening, an dem jeder ab 60 Jahren, die bei sich ein Gedächtnisproblem festgestellt haben oder bei denen der Verdacht auf eine leichte Demenz besteht, soll neue Erkenntnisse bringen. Gestartet ist es 2019. Nicht nur wegen der Corona-Pandemie wird hier seitdem auf digitale Lösungen gesetzt. So können z. B. die Forschungspartner im Projekt (Kliniken, Pflegedienste, Beratungsstellen etc.), die den Kontakt zu den Betroffenen herstellen, zwei virtuelle Tests verwenden, um die Gedächtnisleistung zu ermitteln.

Diese Tests können bequem am heimischen PC durchgeführt werden, eventuell mit technischer Unterstützung eines Angehörigen. "Es handelt sich dabei um eine wissenschaftlich basierte und orientierende Voruntersuchung. Sollte dabei eine leichte kognitive Beeinträchtigung festgestellt werden, die eine Vorstufe zu einer Demenz sein kann, kann anschließend bei spezialisierten Ärzten und Ärztinnen - etwa in einer Gedächtnissprechstunde oder in einer neurologischen Praxis - eine vertiefende Untersuchung empfohlen werden", erläutert Gräßel.

Ungewissheit bezüglich des eigenen Gedächtnisses nehmen 

Beim Screening führt geschultes Personal die Befragung einschließlich wissenschaftlicher Kurztests durch. Es werden verschiedene Aufgaben gestellt, zum Beispiel muss ein Gegenstand benannt werden oder man muss sich eine dreiteilige Aufgabe merken: Nehmen Sie die Gießkanne, gehen Sie ans Fenster und gießen Sie die Blume. "Die Anzahl der Menschen, die wir, in Kooperation mit unseren Forschungspartnern in digiDEM Bayern aufnehmen möchten, liegt im vierstelligen Bereich", erklärt Gräßel. "Das Screening wurde bereits in einer Pilotstudie mit ca. 100 Teilnehmenden erprobt und hat sich bewährt. Wir konnten vor allem die Ungewissheit bezüglich des eigenen Gedächtnisses bei den Teilnehmenden klären." Am Anfang jeder Therapie steht die genaue Diagnose, sagt Gräßel, deshalb ist auch die Unterscheidung zwischen einer kognitiven Beeinträchtigung und einer leichten Demenz wichtig. 

Patientenaufklärung und Prävention

"Bei einer leichten Demenz kann man den Alltag nicht mehr selbstständig bewältigen, bei einer leichten kognitiven Beeinträchtigung kann man noch alleine leben und eventuell sogar einer Beschäftigung nachgehen", so Gräßel. 74 Prozent der Menschen mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung, die mit einer Gedächtnisverschlechterung einhergeht, entwickeln innerhalb von fünf Jahren eine leichte Demenz, so eine umfangreiche wissenschaftliche Studie aus Japan. Die leichte kognitive Beeinträchtigung ist also bei manchen Betroffenen eine Art Vorstufe zur Demenz. Anders herum bedeutet das, dass man die Demenz früh erkennen und den Krankheitsverlauf verlangsamen oder hinauszögern kann, wenn sie frühzeitig entdeckt und konsequent behandelt wird.

Im Zentrum von Gräßels Forschungsarbeit stehen daher auch die Patientenaufklärung und Prävention. Gräßel: "Gesunde Menschen können ihr Risiko, an einer Demenz zu erkranken, minimieren." Risikofaktoren sind beispielweise Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, eine hohe Stressbelastung und Depressionen. "Bei einer leichten kognitiven Beeinträchtigung und einer leichten Demenz entscheidet unter anderem auch die körperliche und geistige - "kognitive" - Aktivität des Betroffenen, wie lange er einigermaßen selbstständig in den eigenen vier Wänden leben kann", so der Experte. "Umso wichtiger ist es, dass wir den Menschen niederschwellige Angebote machen. Wer rafft sich schon auf und geht in den Sportverein, um in Bewegung zu bleiben? Virtuelle Angebote eignen sich hier sehr gut, insbesondere zur kognitiven Aktivierung." Ein kognitives Trainingsprogramm, das man gezielt am PC/Laptop oder Tablet machen kann, wird beispielsweise derzeit erprobt. 

Pflegende Angehörige für eigene Gesundheit sensibilisieren

Pflegende Angehörige und ehrenamtliche Helfer spielen bei der Betreuung von Demenz-Erkrankten eine zentrale Rolle. Auch sie brauchen laut Gräßel mehr Unterstützung und sind daher in das Forschungsvorhaben eng eingebunden. digiDEM Bayern informiert zum Beispiel mit Hilfe eines allgemeinverständlich gehaltenen Newsletters regelmäßig über Neuigkeiten aus Wissenschaft und Forschung und bietet so verlässliche Informationen. Auch Webinare zu Themen wie Ernährung und Wohnen bei Demenz stehen Interessierten in der digiDEM Bayern-Mediathek zur Verfügung. Außerdem bietet die Plattform einen Online-Fragebogen, mit dem Angehörige erkennen können, wie belastet sie durch die Pflegearbeit sind. Eine "Ampel" zeigt den Grad der Belastung an, gibt Empfehlungen und verweist bei Rot zum Beispiel an die Hausärztin bzw. den Hausarzt und eine Angehörigenberatungsstelle für Demenz. "So wollen wir Angehörige dafür sensibilisieren, auch an die eigene Gesundheit zu denken, denn, wenn man möglichst lange helfen möchte, darf man selbst nicht krank werden", erklärt Gräßel. 

Die eigene Gesundheitskompetenz über Demenz zu stärken, dazu trägt auch der Wissenstest Demenz bei. Der Online-Test umfasst 30 Fragen, zum Beispiel aus den Bereichen Risikofaktoren, Pflege und Betreuung sowie Symptome oder Krankheitsverlauf. "Wer besser informiert ist, kann mit dem Thema Demenz besser umgehen", so Gräßel. "Mit den zu erwartenden Ergebnissen von digiDEM Bayern können die Entscheidungsträger aus Politik und Gesellschaft in Zukunft die Versorgung von Menschen mit Demenz und deren An- und Zugehörigen verbessern."