EuGH-Urteil

Keine Ausschreibung für Rettungsdienst

Die Ausgaben der Krankenkassen für die Notfallrettung steigen kräftig. Innerhalb von 15 Jahren haben sie sich verdreifacht. Private Rettungsdienste wollen ein größeres Stück von dem Kuchen. Ein aktuelles EuGH-Urteil bremst hier.

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Im Einsatz: Rettungswagen werden überwiegend vom Roten Kreuz und anderen Hilfsorganisationen gestellt.

Im Einsatz: Rettungswagen werden überwiegend vom Roten Kreuz und anderen Hilfsorganisationen gestellt.

© VanHope / stock.adobe.com

LUXEMBURG/SOLINGEN. Wer im medizinischen Notfall den Notruf 112 wählt, rechnet mit schneller Hilfe vom Rettungsdienst. Die alarmierten Rettungswagen werden überwiegend vom Roten Kreuz und anderen Hilfsorganisationen gestellt. Doch zunehmend drängt auch private Konkurrenz auf den Milliardenmarkt.

Der EuGH entschied nun, dass die Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe hier nicht greifen (Az.: C-465/17). Er hat eine Klage des Falck-Konzerns gegen die Stadt Solingen zurückgewiesen, die sich gegen eine Ausnahmevorschrift im Vergaberecht richtete. Zur Begründung verwiesen die Richter auf eine Ausnahme für den Katastrophenschutz, den Zivilschutz und die Gefahrenabwehr.

In diesem Bereich sei eine Vergabe an gemeinnützige Organisationen auch ohne Ausschreibung zulässig, wenn diese keine Gewinne erzielen oder ihre Gewinne komplett in ihre Dienste reinvestieren. Dabei seien die Rettungsdienste der Gefahrenabwehr zuzurechnen. Denn diese umfasse „sowohl Gefahren für die Allgemeinheit als auch Gefahren für Einzelpersonen“.

Zu Krankentransporten entschied der EuGH, dass diese ebenfalls nur zur Gefahrenabwehr zählen, wenn bei den Patienten „das Risiko besteht, das sich ihr Gesundheitszustand während des Transports verschlechtert“, sodass eine Begleitung durch geschultes Personal erforderlich ist.

Nach den Vorgaben der gesetzlichen Krankenkassen dürfte dies bei qualifizierten Krankentransporten erfüllt sein. Diese setzen voraus, dass der Patient „während der Fahrt eine fachliche Betreuung oder die besondere Einrichtung des Krankentransportwagens“ benötigt oder dass dies wegen des Zustands des Patienten zumindest zu erwarten ist.

Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona hatte hierzu bereits im Vorfeld in einem Gutachten geäußert, dass Rettungsdienste nicht zwingend europaweit ausgeschrieben werden müssen, wenn sie an eine gemeinnützige Organisation vergeben werden. Diese dürften nicht auf Gewinn ausgerichtet sein und müssten anfallende Gewinne in ihre soziale Arbeit investieren. Für Krankentransporte, die kein Notfall seien, gelte das aber nicht.

DRK begrüßt das Urteil

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) begrüßte in einer Stellungnahme das Urteil und sieht sich in seiner Auffassung bestätigt, dass die Vergabe von Rettungsdienstleistungen an anerkannte Hilfsorganisationen ohne europaweite Ausschreibung erfolgen kann. „Der qualifizierte Krankentransport und die Notfallrettung in einem Rettungswagen sind sowohl für den Zivil- und Katastrophenschutz als auch für die Gefahrenabwehr in Deutschland von elementarer Bedeutung“, so DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Diese für die gesamte Gesellschaft wichtige Dienstleistung müsse von anerkannten Hilfsorganisationen erbracht werden und dürfe nicht dem privatwirtschaftlichen Markt überlassen werden.

Worum ging es in dem Verfahren?

In Deutschland sind Länder und Kommunen dafür zuständig, den Rettungsdienst zu organisieren. In vielen Fällen beauftragen sie Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK), den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) oder den Malteser Hilfsdienst damit, Notfallpatienten schnell ins Krankenhaus zu bringen.

Häufig werden diese Aufträge ohne europaweite Ausschreibungen vergeben. So hat das auch die Stadt Solingen bei Düsseldorf gemacht.

Die Stadt hatte 2016 verschiedene Hilfsorganisationen zur Abgabe von Angeboten hierfür aufgefordert. DRK und ASB erhielten schließlich die Aufträge im Gesamtumfang von 2,7 Millionen Euro im Jahr – ohne öffentliche Ausschreibung. Dagegen hat dann ein privater Anbieter geklagt, der sich nicht bewerben konnte.

Warum ist der Fall beim EuGH in Luxemburg gelandet?

Über die Klage verhandelte das Oberlandesgericht in Düsseldorf. Umstritten ist dabei die Auslegung einer EU-Vergaberichtlinie von 2014. Sie sieht vor, dass Dienstleistungen des Katastrophen- und Zivilschutzes sowie der Gefahrenabwehr ohne Ausschreibung an gemeinnützige Organisationen vergeben werden dürfen.

Das OLG wollte daher vom Europäischen Gerichtshof wissen, ob Notfalltransporte von Kranken zu den Ausnahmen gehören und welche Voraussetzungen ein Hilfsdienst erfüllen muss, um als gemeinnützig anerkannt zu werden.

Wer ist der Kläger?

Vor Gericht gezogen ist die Falck-Unternehmensgruppe aus Dänemark. Sie bezeichnet sich als das größte private Rettungsdienstunternehmen in Deutschland.

Seit 2010 sind die Dänen hier aktiv und haben mittlerweile in acht Bundesländern Standorte und 550 Rettungswagen im Einsatz. Zum Vergleich: Für das DRK sind in Deutschland 4700 Fahrzeuge unterwegs.

Wie hoch sind die Ausgaben für den Rettungsdienst?

Die Ausgaben für den Rettungsdienst sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen, pro Jahr nehmen sie nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums um durchschnittlich 7 Prozent zu.

Von 2002 bis 2017 haben sich die Ausgaben für Rettungswagen von gut 800 Millionen Euro auf etwa 2,3 Milliarden Euro nahezu verdreifacht. Eine weitere Milliarde Euro mussten die Krankenkassen 2017 für den Einsatz von Notarztwagen auszahlen. (mwo/run mit dpa Material)

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