Verschiedene Medikamente © picture alliance Foto: Normann Hochheimer/CHROMORANGE

Lieferengpässe: Welche Medikamente nicht lieferbar sind

Stand: 26.09.2022 09:10 Uhr

Mehr als 250 Medikamente sind in Deutschland zurzeit nicht lieferbar. Darunter: Antibiotika, Blutdrucksenker und Schmerzmittel. Eine häufige Ursache sind Produktionsengpässe. Gibt es Alternativen oder Ersatzpräparate?

Das deutsche Gesundheitssystem gehört zu den besten und teuersten der Welt. Dennoch kommt es bei lebenswichtigen Medikamenten immer wieder zu Lieferengpässen. Häufig betroffen sind Kranke, die in besonderem Maß auf das richtige Medikament in der richtigen Dosis zur richtigen Zeit angewiesen sind.

Knapp: Schmerzmittel, Antibiotika, Antidepressiva, Cholesterin- und Blutdrucksenker

Ein aktuelles Beispiel ist fiebersenkender Paracetamolsaft für Kleinkinder und Babys. Einige Apothekerinnen und Apotheker sind dazu übergegangen, ihn selbst herzustellen, auch wenn das aufwändig und teuer ist. Derzeit gelten mehr als 250 Medikamente als nicht lieferbar, darunter Antibiotika, Antidepressiva, Cholesterinsenker und Medikamente gegen hohen Blutdruck. Sogar die Schmerzmittel Ibuprofen und Paracetamol sind nicht in allen Darreichungsformen zu haben. Selbst für Klinikapotheken sind viele Arzneimittel kaum zu bekommen. Noch dramatischer ist die Lage in niedergelassenen Apotheken.

Lebenswichtige Antikörperpräparate nicht mehr erhältlich

Auch Menschen mit einer angeborenen Immunschwäche sind von Lieferproblemen betroffen. Weil ihr eigenes Abwehrsystem nicht richtig funktioniert, sind sie auf Präparate mit Antikörpern (Immunglobulinen) angewiesen, die aus gespendetem Blutplasma gewonnen werden. Die meisten Betroffenen spritzen sich ihr Medikament alle paar Tage selbst unter die Haut. Doch nachdem bereits drei Hersteller solcher Immunglobulinpräparate gravierende Lieferengpässe wegen eines Mangels an Plasmaspenden vermeldet haben, hat der verbleibende vierte Hersteller den Verkauf seines Präparates Cutaquig in Deutschland mit der Begründung eingestellt, die Produktionskosten seien mittlerweile höher als die von den Krankenkassen gezahlten Preise. Patienten und Patientinnen drohen ohne das Medikament gehäufte und schwere Infekte.

Ersatzpräparate nicht immer verfügbar

Ist ein Medikament nicht lieferbar, versuchen die Apotheker, ein Ersatzpräparat zu besorgen. Aber das wird immer schwieriger. Und nicht immer wirken die Ersatzpräparate genauso wie das gewohnte Mittel. Das kann vor allem für Betroffene, die viele verschiedene Medikamente einnehmen, zum Problem werden. Gerade bei Bluthochdruck ist die medikamentöse Einstellung oft langwierig. Muss dann plötzlich das Präparat gewechselt werden, kann das für die Betroffenen unangenehme Konsequenzen wie Schwindel oder Herzrasen haben. Und manchmal gibt es überhaupt keinen Ersatz für ein Medikament, das nicht lieferbar ist: Als Anfang des Jahres der Wirkstoff Tamoxifen über zwei Monate nicht lieferbar war, war das für Frauen nach einer Brustkrebserkrankung beängstigend, denn sie nehmen dieses Medikament ein, damit der Krebs nicht zurückkommt.

Ursache für Lieferengpässe: Probleme in der Produktion

In den allermeisten Fällen seien Mängel in der Produktion Ursache der Versorgungs- und Lieferengpässe, vermuten die Experten. Der Preisdruck bei Medikamenten ist enorm. Um die Herstellungskosten zu senken, lassen Pharmaunternehmen die Wirkstoffe oft ausschließlich in Ländern wie Indien oder China produzieren. Und weil nur Massenproduktion in Billiglohnländern die Wirkstoffe rentabel macht, gibt es häufig nur einen oder wenige Produzenten. Deshalb sind die Pharmaunternehmen zum Teil von einem einzigen Hersteller abhängig. Kommt es zum Beispiel wegen eines Brandes in Indien oder eines neuen Corona-Lockdowns in China zu Problemen in der Produktion, kann ein Medikament vorübergehend überhaupt nicht mehr hergestellt werden und die Vorräte gehen weltweit rasch zur Neige.

Rabattverträge mit Krankenversicherungen verschärfen Lieferengpass

Eine Mitschuld an den Versorgungsproblemen geben Apotheker den Krankenversicherungen. Diese schließen mit den Herstellern Rabattverträge ab. Dadurch wird die Gewinnspanne der Pharmaunternehmen kleiner.

Um Geld zu sparen, legen Arzneimittelhersteller kaum noch Vorräte an, sondern produzieren nur noch nach Bedarf. Und wenn die Produktion eines knappen Medikaments wieder anläuft, werden zunächst die Länder beliefert, in denen die Unternehmen die besten Preise erzielen.

Liste: Welche Medikamente sind nicht lieferbar?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) informiert als zuständige Bundesbehörde über aktuelle Lieferengpässe. So können sich Ärzte und Apotheker einen Überblick verschaffen und die vorhandenen Restbestände den Erkrankten zukommen lassen, die sie am dringendsten benötigen.

Lieferengpässe vermeiden: Ärzte und Apotheker fordern neue Gesetze

Doch Transparenz allein löst das Problem nicht, denn in allen Bereichen fehlen Medikamente - in der Krebstherapie, bei Impfstoffen, Antibiotika und Narkosemitteln. Mittlerweile fordern Ärzte und Apotheker deshalb bundesweit neue Gesetze. Sie sollen Pharmaunternehmen bei wichtigen Medikamenten zur Vorratshaltung verpflichten und bei ausbleibenden Lieferungen harte Strafen vorsehen.

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Visite | 27.09.2022 | 20:15 Uhr

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