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Hamburg Coronavirus

„Ich wechsle gerade von einem Krisenstab in den nächsten“

Uwe Koch-Gromus ist seit 2007 hauptamtlicher Dekan der Medizinischen Fakultät am UKE Uwe Koch-Gromus ist seit 2007 hauptamtlicher Dekan der Medizinischen Fakultät am UKE
Uwe Koch-Gromus ist seit 2007 hauptamtlicher Dekan der Medizinischen Fakultät am UKE
Quelle: Bertold Fabricius
Mit 77 Jahren geht Uwe Koch-Gromus, Dekan des Universitätsklinikums Eppendorf, in den Ruhestand. Wir haben mit ihm über das Coronavirus gesprochen, die Wissenschaftsstadt Hamburg und Medizinstudenten, die schnell überlastet sind.

Das Coronavirus nimmt keine Rücksicht auf Gefühle – auch nicht auf die eines Dekans der Hochschulmedizin. Professor Uwe Koch-Gromus, 77 Jahre alt und scheidender Dekan des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, sollte eigentlich übernächste Woche gebührend verabschiedet werden, viele Gäste hatten sich angekündigt. Doch daraus wird nichts, das UKE hat die Veranstaltung abgesagt. WELT AM SONNTAG hat ihn vor seinem Eintritt in den Ruhestand getroffen, denn Koch-Gromus, der die Rolle des Dekans, wie er selbst sagt, nie anstrebte und es mit 63 Jahren doch wurde, ist ein wichtiger Zeitzeuge für Hamburgs Entwicklung zur Wissenschaftsstadt.

WELT AM SONNTAG: Das Abschiedssymposium zu Ihren Ehren ist abgesagt worden. Sind Sie sehr enttäuscht?

Uwe Koch-Gromus: Mir tut es vor allem für meine Freunde leid, die sich, wie ich hörte, sehr viel Mühe gemacht haben. Aber ich hoffe, dass wir zum Ende des Semesters noch einen Nachholtermin finden werden.

WELT AM SONNTAG: Wie ist grundsätzlich die aktuelle Stimmung am UKE?

Koch-Gromus: Ich wechsle gerade von einem Krisenstab in den nächsten. Mein Leben, aber auch das aller, die am UKE in verantwortlicher Position tätig sind, ist derzeit dadurch geprägt. Jeden Tag erleben wir neue überraschende Situationen.

WELT AM SONNTAG: Ist das UKE gut vorbereitet für den Corona-Stresstest?

Koch-Gromus: Wenn man die steigenden Fallzahlen sieht, muss man auf alle Fälle mit einem Stresstest rechnen. Das UKE ist für diese Lage aber gut eingestellt. Für den Fall, dass die Intensivbetten nicht ausreichen, gibt es schon jetzt Planungen, diese auszuweiten. Das ist aber komplizierter, als man denkt. Deshalb ist die Strategie nachvollziehbar, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, damit auch das Krankenhaussystem Zeit hat, sich anzupassen.

WELT AM SONNTAG: Der Virus grassiert auf den letzten Metern Ihres Berufslebens. Ende des Monats hören Sie als Dekan auf. Was überwiegt aktuell: Vorfreude oder Wehmut?

Koch-Gromus: Es ist schön, Einfluss zu haben und gestalten zu können. Ich verspürte in den vergangenen Tagen auch ab und an Wehmut. Ich höre in letzter Zeit häufig, wie sich Menschen von mir mit den Worten verabschieden: „Herr Koch-Gromus ist heute zum letzten Mal bei uns.“ Das bohrt dann schon ein bisschen. Ich arbeite noch heute bis zu 15 Stunden am Tag und werde auch ab April an ein paar Sachen am UKE weiterarbeiten – nur in einem anderen Gebäude auf dem Campus.

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WELT AM SONNTAG: Warum können Sie nicht loslassen?

Koch-Gromus: Ich bin einer der Gründungsväter der Hamburg City Health Study (HCHS), die größte lokale Gesundheitsstudie der Welt, für die 45.000 Hamburgerinnen und Hamburger untersucht werden. Um die inhaltliche Arbeit, nämlich die Frage, was wir mit den ganzen gewonnenen Daten machen, kümmere ich mich künftig hauptsächlich.

WELT AM SONNTAG: Hamburg hat sich zum Ziel gesetzt, ein Wissenschaftsstandort zu werden, der Ruf hat sich in den letzten Jahren verbessert. Sind Sie zufrieden, dass SPD und Grüne wohl weiter den Senat stellen werden?

Koch-Gromus: Was kann uns Besseres passieren, als eine nachweislich für das UKE sehr engagierte Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und einem Bürgermeister Peter Tschentscher, der seinen alten Arbeitgeber UKE liebt? Wir sind mit der zu erwartenden Konstellation nicht unzufrieden. (lacht)

WELT AM SONNTAG: Was fehlt Hamburg denn noch, um Wissenschaftsstandort zu sein?

Koch-Gromus: Wie vieles hängt auch das vom Geld ab. Bis 2017 betrug die jährliche Etatsteigerung der Stadt für Forschung und Lehre 0,88 Prozent und lag damit unter dem Inflationsausgleich. Vor zwei Jahren sind wir mit unseren Klagen gehört worden, dass wir massiv unterfinanziert sind. Seit vergangenem Jahr liegt die Steigerung nun bei rund fünf Prozent. Ein neuer Sonderforschungsbereich – und davon haben wir inzwischen vier eigene – kostet schätzungsweise bis zu einer Million Euro an zusätzlichen Mitteln von der Fakultät. Wenn wir dafür keine Kompensation erhalten, können wir keine weiteren Bereiche schaffen. Wenn es allerdings der politische Wille ist, dass wir weiter in Richtung Exzellenz gehen, muss auch das finanzielle Engagement seitens der Stadt vorhanden sein. Aber Geld allein reicht nicht.

WELT AM SONNTAG: Was braucht es noch?

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Koch-Gromus: Ganz wichtig sind auch Gesprächspartner auf Behördenseite. Zuvor waren wir die Nervenden, die immer nur Geld haben wollten. Inzwischen ist sichtbar, dass Forschung als Profil von Hamburg gesehen wird und sogar von der anderen Seite überlegt wird, wie sie uns helfen können.

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WELT AM SONNTAG: Backt Hamburg im internationalen Vergleich nicht aber noch kleine Brötchen?

Koch-Gromus: Wenn Sie als Forscher eine Reise nach Stanford machen und sehen dort ganze Wissenschaftsparks, dann werden Sie in der Tat neidisch. Vielleicht sind wir mit dem Forschungscampus in Bahrenfeld in den kommenden zehn Jahren auf dem Weg dorthin, aber auf dem UKE-Gelände fehlen uns derzeit schlicht die Räume. Wir sind derzeit am absoluten Anschlag. In meiner Zeit haben wir die Einwerbung von Drittfördermitteln von etwa 30 auf 109 Millionen Euro steigern können. Was macht man mit dem Geld? Man holt Wissenschaftler. Doch die bekommen wir inzwischen kaum untergebracht. Deshalb sind wir angewiesen auf den Campus Forschung II – ob der gefördert wird und somit errichtet werden kann, entscheidet sich demnächst.

WELT AM SONNTAG: Sie waren als Dekan nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Lehre der künftigen Ärzte verantwortlich. Hat sich der Medizinstudent verändert?

Koch-Gromus: Der ist tatsächlich anders, als ich es war. Nach meinem Psychologiestudium habe ich eine Assistenzstelle an der Universität bekommen und parallel dazu und ohne Zeitverzögerung Medizin studiert. Ich habe viel gearbeitet, was dazu führte, dass ich morgens um fünf Uhr mit meinem Hund und einem Anatomiebuch vor der Nase durch einen Park gelaufen bin, schnurstracks gegen einen Baum. (lacht) Die Nächte waren eben lang. Unsere Leidensfähigkeit war damals höher, heute schauen die meisten doch eher auf eine Balance zwischen Beruf und Privatleben. Vielleicht ist das auch vernünftig. Wir haben schließlich schon sehr ungesund gelebt. Ich mag nur diese Klagekultur nicht: Wer über die 40 Stunden hinaus arbeiten soll, fühlt sich oft überlastet.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

Quelle: WELT AM SONNTAG

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