Volkskrankheit Diabetes breitet sich in fast allen Altersgruppen aus

Viel Zucker, viel Fett, viel Salz und wenig Sport - bei diesem
Lebensstil können die Blutzuckerwerte schnell aus der Balance geraten
und Diabetes begünstigen. Auch in NRW sind die Behandlungszahlen
deutlich gestiegen.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Der Anteil der Diabetes-Kranken ist in
Nordrhein-Westfalen innerhalb von zehn Jahren in fast allen
Altersgruppen deutlich gestiegen. Am drastischsten zeigt sich der
Zuwachs der Fälle zwischen 2008 und 2017 um fast 61 Prozent bei den
40- bis 44-Jährigen. Das geht aus einer am Freitag in Düsseldorf
veröffentlichten Antwort des NRW-Gesundheitsministers Karl-Josef
Laumann (CDU) auf eine Große Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hervor.
Die oft schleichende Ersterkrankung an Diabetes mellitus Typ 2 zeige
sich überwiegend ab dem mittleren Erwachsenenalter, heißt es in der
Antwort.

Insgesamt ist demnach fast jeder Zehnte in NRW, ebenso wie
bundesweit, an Diabetes erkrankt. Lediglich in der Altersgruppe bis
vier Jahre konnte ein weiterer Rückgang der ohnehin niedrigen
Fallzahlen verbucht werden.

Diabetes, auch Zuckerkrankheit genannt, gehört zu den chronischen
Stoffwechselerkrankungen - früher oft tödlich, heute sehr gut
behandelbar. Die seltenere Form, Typ 1, ist durch einen Mangel an
Insulin gekennzeichnet. Der inzwischen zur Volkskrankheit entwickelte
Typ 2 entsteht durch eine mangelhafte Insulinwirkung an den
Körperzellen, wodurch nicht genug Zucker aus dem Blut ins Gewebe
gelangen kann.

Die 80- bis 84-Jährigen stellen dem Bericht zufolge mit 32 Prozent
die größte Altersgruppe der Diabetes-Patienten in ambulanter
Behandlung. Riskant sei ein längerfristig unentdeckter oder
unzureichend kontrollierter Diabetes, stellte der Gesundheitsminister
fest. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenfunktionsstörungen,
Erblindung oder Fußamputationen könnten die Folgen sein.

Abgeleitet von einer bundesweiten Untersuchung des
Robert-Koch-Instituts sei bei 18- bis 79-Jährigen in NRW jährlich von
etwa 270 000 unerkannten Fällen von Diabetes mellitus Typ 2
auszugehen. Die Zahl der jemals von den Kassenärztlichen
Vereinigungen in NRW dokumentierten Fußamputationen bei Diabetikern
liege bei rund 6900 von über einer Million Patienten. Die Zahl der in
ihren Programmen betreuten diabetesbedingt erblindeten Patienten
wurde mit 3272 beziffert.

Ausgehend von Modellrechnungen äußerte das Gesundheitsministerium die
Einschätzung, dass in NRW knapp 42 000 von fast 202 000 Sterbefällen
über 40-Jähriger im Jahr 2017 mit Diabetes in Verbindung gebracht
werden könnten. Nicht bei allen Fällen stelle allerdings «Diabetes
das für den Tod ursächliche Grundleiden dar».

Als Todesursache sei Diabetes 2017 in der offiziellen NRW-Statistik
4902 Mal genannt worden. Im Zehn-Jahresvergleich sei dies ein
deutlicher Zuwachs um 32 Prozent. Allerdings könne das teilweise auch
auf veränderte Zählweisen zurückgeführt werden. NRW-Daten zur
Lebenserwartung von Diabeteserkrankten hatte das Ministerium nicht.

Mehr Sicherheit und Lebensqualität für Betroffene sei von der
Digitalisierung des Gesundheitswesens zu erwarten - etwa durch
Tele-Ärzte, die die Daten ihrer Patienten auf diesem Wege engmaschig
überwachten und ihnen somit auch Krankenhausaufenthalte ersparen
könnten. NRW fördere die Telemedizin bereits, betonte Laumann.

Er sehe keine Notwendigkeit für einen landesweiten
Diabetes-Beauftragten, antwortete er der SPD. NRW sei auf diesem Feld
«in vielfacher Hinsicht bereits sehr breit und gut aufgestellt». Die
Landesregierung setze vor allem darauf, einen gesunden Lebensstil zu
vermitteln, denn Fehlernährung mit zu viel Zucker, Fett und Salz
sowie Bewegungsmangel und Übergewicht spielten hier eine große Rolle.

Überdurchschnittlich häufig müssen Patienten dem Bericht zufolge in
einigen Ruhrgebietsstädten, in Leverkusen und Mönchengladbach sowie
in den Kreisen Heinsberg, Düren, Siegen-Wittgenstein und im
Märkischen Kreis wegen Diabetes behandelt werden. Bei solchen
Besonderheiten können demnach auch sozioökonomische Faktoren eine
Rolle spielen. Mehrere Untersuchungen in Deutschland zeigten, dass
Menschen mit niedrigem Sozialstatus häufiger an Diabetes erkrankten.
Internationale Studien deuteten allerdings darauf hin, dass dies bei
Diabetes mellitus, Typ 1, umgekehrt sein könnte.

«Der Gesundheitsminister macht sich einen schlanken Fuß, wenn er die
Hauptaufgabe darin sieht, einen gesunden Lebensstil zu vermitteln»,
kritisierte die SPD-Abgeordnete Angela Lück. «Menschen mit
Diabeteserkrankung oder hohem Diabetesrisiko sind oft auch Menschen
mit hohem Armutsrisiko. Sie brauchen weitaus mehr Unterstützung.»
Neben der Bekämpfung der Armut müsse auch die Zucker-Lobby in die
Mangel genommen werden, forderte der gesundheitspolitische Sprecher
der SPD-Landtagsfraktion Josef Neumann.