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Hamburg Johannes Caspar

Der „Facebook-Jäger“ streckt die Waffen und warnt vor der Datenmacht

Freie Autorin
Nach zwölf Jahren im Amt hört Johannes Caspar Ende Juni als Hamburgs oberster Datenschützer auf Nach zwölf Jahren im Amt hört Johannes Caspar Ende Juni als Hamburgs oberster Datenschützer auf
Nach zwölf Jahren im Amt hört Johannes Caspar Ende Juni als Hamburgs oberster Datenschützer auf
Quelle: Pressebild.de/Bertold Fabricius
Hamburgs Datenschützer Johannes Caspar hört auf – nach zwölf Jahren, in denen er Internetgiganten das Fürchten lehrte. Zum Abschied warnt er: „Die Manipulierbarkeit von Debatten wird durch Datenmacht zu einem bedenklichen Risiko für unsere Demokratie.“

Er wusste, dass sein Amt ein Amt auf Zeit ist. So ist es in der Hamburgischen Verfassung verankert, begrenzt auf maximal zwölf Jahre. „Das macht es leicht, sich auf die Dinge einzustellen“, sagt Johannes Caspar im Gespräch mit WELT. Doch schon im nächsten Satz folgt das Aber. Denn Hamburgs oberster Datenschützer geht inmitten einer rasanten digitalen Entwicklung, in der „noch viele Baustellen“ offen sind. Am 28. Juni endet die Ära Caspar und somit das Wirken eines nicht unumstrittenen Mannes, der zu Deutschlands bekanntestem Datenschützer avancierte. Mit einer Stellenausschreibung ist das Gerangel um seine Nachfolge nun eröffnet.

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Als „Facebook-Jäger“ bezeichneten die Medien den 1962 in Salzgitter geborenen Caspar, weil er die Konfrontation mit Internetgiganten nicht scheute. Im Gegenteil, seit der promovierte und habilitierte Jurist 2009 zum Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ernannte wurde, kreuzten sich seine Wege und die des US-Konzerns Facebook, aber auch anderen wie Google regelmäßig.

„Wir haben in den zwölf Jahren erreicht, dass der Datenschutz von Hamburg ausgehend europa- und weltweit Standards gesetzt hat“, sagt Caspar und nennt Schlagworte wie Google Street View, Tracking-Systeme, die Gesichtserkennung durch soziale Netzwerke und kommerzielle Anbieter sowie digitale Sprachassistenten, „die unbemerkt in Wohnungen hineinlauschen“.

Datenschutz sei eine Querschnittsmaterie, ein Dauerjob, „man kommt kaum zum Durchatmen, man arbeitet an vielen Ecken und es ergeben sich täglich neue Fragestellungen“, so der 59-Jährige. Erst jüngst erließ Caspar eine Anordnung, in der Facebook untersagt wird, Daten seines Tochterunternehmens WhatsApp für eigene Zwecke zu nutzen. Anlass sind die seit Mai geltenden Datenschutzbestimmungen des Kurznachrichtendiensts. „Es geht um den Datenaustausch zwischen WhatsApp und Facebook, von dem 60 Millionen Menschen allein in Deutschland betroffen sind“, erklärt Caspar, der seit 2018 im Europäischen Datenschutzausschuss sitzt.

Zwar hat die WhatsApp-Mutter Facebook eine Niederlassung in Hamburg. Caspar kann mit seiner aktuellen Anordnung allerdings nur befristet eingreifen, weil für Facebook die irische Datenschutzbehörde zuständig ist. „Auch die letzten Wochen im Amt werden und bleiben intensiv“, sagt Caspar in seiner ruhigen und doch konsequenten Art. Letzteres werfen ihm Gegner wiederum vor. Demnach habe Caspar in seinem Kampf für den Datenschutz bisweilen zu militant und rigoros agiert und dadurch nicht nur Schlechtes, sondern auch Gutes im Sinne des digitalen Fortschritts verhindert.

Unabhängig und losgelöst von der Politik

Gelungen ist Caspar 2017 der Schritt seiner Behörde in die Unabhängigkeit. Zuvor war der Posten der eingeschränkten Dienstaufsicht der Justizbehörde unterstellt, in deren Etat auch die Finanzen für den Datenschutz aufgelistet waren. Seither fungiert Hamburgs Datenschutzbeauftragter – nach einer entsprechenden Verfassungsänderung – losgelöst vom Senat, womit der Stadtstaat seinerzeit bundesweit voraus war.

Dass Caspars Behörde jetzt vergleichbar mit dem Rechnungshof als eine unabhängige Stelle auch ihr eigenes Budget verhandelt, hat deren Haushaltslage aber nicht verbessert. Denn während der Jurist Konzerne mitunter in die Knie zwang, biss er sich an der Hansestadt die Zähne aus. Das permanente Ringen um Mittel hat Spuren hinterlassen. „Die Chancen, die eine starke Datenschutzbehörde bietet, sind von der lokalen Politik leider nicht verstanden worden“, kritisiert Caspar. Folglich könnten viele Bürgerbeschwerden nicht zeitgerecht bearbeitet werden. Für die Beratung von Unternehmen bestünden keinerlei Kapazitäten, und die Beratung für Digitalisierungsprojekte der Verwaltung bleibe oft ungenutzt.

„Datenschutz ist für moderne Unternehmen integrativer Faktor im Wirtschaftsprozess“, betont Caspar. Und weiter: „Die Sichtweise, die Ziele zunächst in einen Gegensatz zu stellen, ist anachronistisch. Hier muss sich vieles ändern.“ Schließlich sei der Schutz der Privatheit kein Selbstzweck, „sondern ein Grundrecht für Bürgerinnen und Bürger, das vom Staat zu schützen ist“, erklärt der 59-Jährige. Er hofft, „dass die politische und rechtliche Verantwortung für die angemessene Ausstattung der unabhängigen Stelle in Zukunft besser wahrgenommen wird“. Der Finanz- und Personalbedarf der Kontrollstelle sollte laut dem noch amtierenden Datenschützer daher im Haushaltsverfahren durch unabhängige Gremien vorermittelt werden.

Digitalisierung ist ein Top-Thema, vergleichbar mit Klimaschutz

Nach dem Ausscheiden aus dem Amt möchte sich der Jurist wieder stärker der Lehre, Wissenschaft und Forschung an der Universität Hamburg widmen und Bücher schreiben: „Was die Digitalisierung mit uns macht und wie das Leben der Menschen in der Zukunft aussehen soll, ist eines der Top-Themen, das die Menschheit bewegt, in der gleichen Kategorie wie der Klimaschutz.“ Der Umgang mit Daten sei darüber hinaus ein Metathema, aus dem sich andere Diskurse zu politischen, ökologischen oder sozialen Problemen ergeben.

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„Die Manipulierbarkeit gesellschaftspolitischer Debatten wird durch Datenmacht zu einem bedenklichen Risiko für die Willensbildungsprozesse in der Gesellschaft und für unsere Demokratie“, warnt Caspar. Und es gehe darum, in Zeiten disruptiver Entwicklungen Grundorientierungen zu liefern. Ihn treibt um, auf welchem digitalen Weg sich die Gesellschaft befindet, wo die Grenzen des Kerngerüstes von Recht und Freiheit liegen, in einer Welt, die immer digitaler wird. „Was mit der Autonomie der Menschen passiert, wenn immer mehr Vorgaben über künstliche Intelligenz gesteuert werden, das sind zentrale Fragen unserer Zeit.“

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Wenn er Ende Juni nach zwei Amtszeiten seinen Schreibtisch in der Datenschutzbehörde räumt, wird ihm eigenen Angaben zufolge die Zusammenarbeit mit seinen Kollegen fehlen. Nicht fehlen werde ihm „der Streit, der Stress und die zunehmend harschen, mitunter auch unfair geführten Debatten“. Das habe in der Pandemie-Zeit „leider massiv zugenommen“.

Es sind große Fußstapfen, in die der Nachfolger oder die Nachfolgerin tritt. „Am Amt Interessierte“, heißt es in der gerade veröffentlichten Stellenausschreibung, können sich bis 15. Juni bei den vorschlagsberechtigten Fraktionen der Bürgerschaft bewerben. Am 18. August wählt das Parlament einen neuen Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit.

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