Interview mit Gunda Hans, Fachgesundheits- und Krankenpflegerin für Intensivpflege

„Auch wenn ich schwach bin, jemand hält für mich Kontakt“

Die 32-jährige Gunda Hans ist Fachgesundheits- und Krankenpflegerin für Intensivpflege am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Sie hat während ihrer Arbeit auf der Intensivstation erfahren, dass Angehörige die Brücke zu den Erkrankten sind - gerade auch in der Corona-Pandemie. Dies hat sie ermutigt, ein Projekt für ein „Aktives Angehörigengespräch“ auf den Weg zu bringen. Dafür wurde sie mit dem 2. Preis des vdek-Zukunftspreises geehrt.

Gunda Hans UKE vdek Zukunftspreis 2021

vdek: Was hat sich durch die Einführung des aktiven Angehörigengesprächs verbessert, besonders unter den schwierigen Corona-Bedingungen?

Schon vor der Pandemie gab es zahlreiche Anrufe von Angehörigen auf der Station. Diese wurden von der Sekretärin entgegengenommen und dann an die Pflegekräfte weitergeleitet. Für uns bedeutet das immer auch eine Unterbrechung im Arbeitsablauf. Durch die wegfallenden Besuche wurden die Informationsketten noch unklarer.

Sie müssen sich das so vorstellen: Man steht als Angehöriger vor dem Krankenhaus und es ist klar, da ist der Betroffene drin, aber man weiß eigentlich nicht wirklich wie es dort aussieht. Wenn ein neuer Patient oder eine neue Patientin kommt führen wir als Pflegekräfte Auffanggespräche mit den Angehörigen, die verständlicherweise sehr aufgeregt sind. Wir versuchen, sie gut zu informieren. Aber oft stecken wir natürlich gerade selbst in aufregenden Situationen, unsere Patient:innen sind ja sehr verletzlich. Wir versuchen allzu oft, einen ruhigen Zugang zu den Angehörigen zu finden, obwohl es bei uns gerade gar nicht ruhig ist.

Auch für die Patient:innen ist es aufregend, auf der Intensivstation zu sein. Einige sind wach und wir halten mit ihnen Rücksprache, nehmen ihre Sorgen wahr und fragen nach, wer informiert werden soll. Als kranke Person möchte man nicht, dass die Angehörigen sich Sorgen machen. Den Patient:innen hilft es zu wissen: Auch wenn ich schwach bin, jemand hält für mich zu ihnen Kontakt. Wir unterstützen zum Beispiel bei der Nutzung von Handys und Tablets und ermöglichen Videotelefonie. Das Gesicht von lieben Menschen zu sehen, auch wenn man vielleicht nicht selbst sprechen kann, ist eine große Unterstützung.

vdek: Hat das Projekt auch die Zusammenarbeit auf der Station verändert?

Ja, schon. Wir haben ein interdisziplinäres Behandlungsteam. Damit ist gemeint, dass mehrere Berufsgruppen am Intensivpatienten beschäftigt sind. Das kann der Oberarzt sein, der jeden Tag nach dem Patienten sieht, die behandelnde Pflegekraft und beispielsweise die Physiotherapeutin. Zum aktiven Angehörigengespräch gehört auch, dass wir proaktiv im Team nachfragen wer mit den Angehörigen gesprochen hat, was besprochen wurde und wie es den Angehörigen dabei ging. Wichtig ist, sich im Team zu überlegen, ob die Angehörigen zurechtkommen oder vielleicht weitere Unterstützungsangebote benötigen. Wir möchten die Angehörigen miteinbeziehen, ohne dass es sie überfordert oder im Unklaren lässt.

vdek: Wie läuft so ein Telefonat ab?

Wir haben zur Unterstützung der Gespräche eine Checkliste ausgearbeitet. Denn für die Angehörigen ist es wichtig, dass wir immer die gleichen Punkte zum Zustand der Patient:innen ansprechen. Das schafft Orientierung und beugt Überforderung vor. Die Angehörigen haben viel im Kopf. Durch die täglichen Updates wissen sie, dass etwas getan wird, auch wenn es nur kleine Dinge sind. Das können Informationen sein dazu, wie lange die Patientin eigenständig atmen kann. Wenn es an einem Tag 15 Minuten sind, dann ist es ein Tag später vielleicht schon eine halbe Stunde. Oder Informationen wie: Heute hat der Patient die Augen geöffnet. Wir setzen in den Gesprächen bewusst keine Fachsprache ein, sagen zum Beispiel Beatmungsschlauch statt Tubus. Wir haben auch die Bedürfnisse der Angehörigen aufgefangen, indem wir zum Beispiel den Punkt „Zustand in der Nacht“ aufgenommen haben. Viele Angehörige rufen morgens an und fragen uns, wie die Nacht verlaufen ist.

vdek: Gibt es ein Gespräch, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ein Patient lag etwas über einen Monat bei uns und seine Frau hat sich sehr schwer damit getan, dass sie nicht auf die Station kommen durfte. Wir haben dann unseren Gesprächstermin für abends festgelegt. Nach unserem Gespräch bekam der Patient das Telefon ans Ohr gehalten und sie hat ihm von ihrem Tag erzählt. Das hat ihr sehr dabei geholfen, zur Ruhe zu kommen und danach mit dem Tag abzuschließen. Für sie wurde das zu einem Ritual, auf das sie sich jeden Tag gefreut hat.

vdek: Welche Rolle spielt der Kontakt zu den Angehörigen für die Pflegekräfte?

Teil unserer Ausbildung ist auch die Beratung. Auf der Intensivstation ist die Behandlung aber viel akuter und dieser Aspekt rückt in den Hintergrund. Ich habe für mich selbst sehr früh erkannt, dass Angehörige Teil des Patienten sind. Es ist doch so: Ein Patient kommt und wir wissen gar nichts über ihn. Ich finde, ein gutes Sinnbild ist, dass die Angehörigen die Brücke zum Patienten sind. Jeder Patient, jede Patientin hat eine Vorgeschichte. Die verschwindet nicht einfach, wenn er oder sie ins Krankenhaus kommt. Auch wenn es nicht immer leicht ist, die Angehörigen haben Verständnis verdient. Auch ich hätte viele Fragen, wenn jemand aus meinem Umfeld ins Krankenhaus müsste, obwohl ich mich in diesem Setting auskenne. Wenn es den Angehörigen nicht gut geht, dann geht es auch den Patient:innen nicht gut. Die Pandemie hat uns noch mehr gezeigt, dass die Angehörigen eine wichtige Rolle im Behandlungsprozess spielen. Ihre Bedürfnisse sind etwas Normales und sollten ernst genommen werden. 

Interview: Isabella Tartamella