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Wie Gesundheitsminister Laumann den Mangel an Pflegekräften und Ärzten beheben will

„Ich ziehe alle Register“

Düsseldorf (WB). Die freie Arztwahl wird auf dem Land immer öfter zum Luxus. Es ist nur ein Aspekt von vielen, die den Fachkräftemangel in Praxen und Krankenhäusern ausmachen. Gesundheitsminister Laumann hat aber sein Pulver noch nicht verschossen, wie er im Interview erläutert.

Himar Riemenschneider

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), will im nächsten Jahr Maßnahmen gegen den Personalmangel in der Pflege auf den Weg bringen.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), will im nächsten Jahr Maßnahmen gegen den Personalmangel in der Pflege auf den Weg bringen. Foto: Marius Becker/dpa

Herr Laumann, mit Landärzte-Quote und Krankenhaus-Reform geht für Sie ein arbeitsreiches Jahr zu Ende. Und doch bleibt als ungelöstes Thema der Personalmangel in der Pflege. Wo liegt das Problem?

Laumann: Zunächst kann man festhalten, dass die Landarztquote ein voller Erfolg ist. Wir haben für das Sommersemester 2020 mehr Bewerberinnen und Bewerber, die einen Studienplatz über die Landarztquote haben wollen als sich über das reguläre Verfahren bewerben. Wir haben erfreulicherweise auch viele Bewerberinnen und Bewerber aus ländlichen Regionen in NRW. Aber den Ärztemangel wie den Mangel an Pflegekräften kann man nicht von heute auf morgen ändern. Deshalb hat die Landesregierung 400 zusätzliche Studienplätze für Mediziner beschlossen. Und wir bauen erheblich bei der Pflege aus: Ich möchte, dass alle Interessenten in Nordrhein-Westfalen, die sich dafür eignen, eine Ausbildungsplatzgarantie in der Pflege bekommen. Das werden wir Anfang 2020 zügig auf den Weg bringen. Wir haben immer noch Regionen, in denen nicht alle Bewerberinnen und Bewerber einen Platz bekommen.

Die Ausbildungsumlage in der Altenpflege hat schon etwas bewirkt. Wo wollen Sie ansetzen?

Laumann: Ich gehe davon aus, dass vor allem die mit Krankenhäusern verbundenen Pflegeschulen ihre Ausbildungskapazität deutlich erhöhen werden. Derzeit bilden die Krankenhäuser in der Summe nicht mehr aus als vor 20 Jahren. Die Steigerungen kommen aus der Altenpflege. Das ist auch für Universitätskliniken kein Ruhmesblatt, wenn sie 2000 Beschäftigte in der Pflege haben, aber nur 90 Auszubildende im Jahr. Wir erhalten allerdings aktuell Signale, dass die Krankenhäuser erfreulicherweise ihre Ausbildungszahlen steigern.

Kliniken in der Pflicht

Wie wollen Sie die Krankenhäuser dazu bringen?

Laumann: Die Krankenhäuser müssen mehr ausbilden, das will ich in Vereinbarungen festschreiben. Wir haben jetzt eine neue Finanzierung für die Ausbildung über einen Fonds, das kostet die Krankenhäuser keinen einzigen Cent. Das Argument, das können wir nicht bezahlen, zieht nicht. Und deshalb muss jetzt die Ausbildungsplatzgarantie kommen. Daran sollen sich im Übrigen auch die Träger der Altenpflege beteiligen. Dazu kommt aber als zweiter Punkt die Zuwanderung: Die Überprüfung und Anerkennung von Qualifikationen übernimmt ab Januar zentral die Bezirksregierung Münster – erst für die Ärzte, ab 2021 für alle Gesundheitsberufe. Das soll zentralisiert und digitalisiert laufen, damit das Verfahren deutlich beschleunigt wird. Nordrhein-Westfalen soll attraktiv für Gesundheitsberufe sein.

Folge der Anwerbeaktionen ist ein Mangel vor Ort. In Rumänien haben Sie die Folgen für das Land selbst gesehen. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Laumann: Darum setzen wir ja so verstärkt auf die Ausbildung hier. Die Ursache für den Ärztemangel liegt hier im Land. Es gibt genügend Interessenten, auf jeden Studienplatz haben wir zehn Bewerbungen. Bei der Pflege ist das anders, da brauchen wir Zuwanderung. Und wir müssen uns auf die Länder konzentrieren, die einen Überhang an Pflegekräften haben. Alles andere wäre unsolidarisch.

Maximal 30 Autominuten bis zum Krankenhaus

Ihr Plan für eine neue Krankenhausstruktur setzt stärker auf nachgewiesene Expertise für einzelne Behandlungsfelder. Wenn dann einzelne Häuser Abteilungen schließen müssen, entspannt das auch den Fachkräftebedarf?

Laumann: Ja, darum geht es. Wenn auf engstem Raum Doppel- und Dreifachstrukturen vorgehalten werden, verschlingen die auch viel Personalressourcen. Die könnte man effizienter einsetzen. Mit der Krankenhausplanung verfolge ich ein wesentliches Ziel: Eine bessere Qualität in der Versorgung. Das hängt auch mit Fallzahlen zusammen. Wenn in Nordrhein-Westfalen die Hälfte aller Kniegelenke in Krankenhäusern eingesetzt wird, die weniger als 100 Fälle im Jahr machen, dann ist das kein Zeichen von qualitätsbewusstem Vorgehen. Das spricht für eine andere Krankenhausplanung. Unter Rot-Grün hat sich das Land da auf eine Notar-Funktion zurückgezogen. Ich will die Qualität in den Mittelpunkt stellen, das heißt nicht nach Bettenzahlen, sondern nach Fallzahlen zu planen.

Viele Menschen sorgen sich, dass im Notfall der Weg ins Krankenhaus zu weit wird. Was bedeuten Ihre Pläne für die ländlichen Regionen im Münsterland oder in Ostwestfalen?

Laumann: Da kann ich die Menschen beruhigen. Ich habe politisch vorgegeben, dass alle Menschen in Nordrhein-Westfalen in einer halben Stunde ein Krankenhaus erreichen müssen. Ich kann nicht zulassen, dass zum Beispiel die Intensivstationen zu weit auseinanderliegen. Das heißt im Zweifel, dass wir für die Erreichbarkeit Zugeständnisse machen müssen. Tatsache ist aber, dass in vielen Landkreisen die Veränderungsprozesse längst laufen oder gelaufen sind. Die Doppel- und Dreifachstrukturen finden sich eher in den Städten und Großstädten. Dort wird man die Veränderungen eher sehen. Aber das Ziel ist, die Qualität einer Maximalversorgung sicherzustellen, wie es sie heute etwa in den Krebszentren gibt.

Hausarzt muss Lotse bleiben

Auf dem Land geht die Sorge um, dass demnächst keine freie Arztwahl mehr möglich ist, weil nur einer in der Nähe ist. Bis die ersten Landärzte kommen, dauert es aber zehn Jahre. Was passiert in der Zwischenzeit?

Laumann: Ich kann die sieben verlorenen Jahre unter Rot-Grün nicht rückgängig machen. Hätte Schwarz-Gelb 2010 weiter regieren können, hätte ich das Thema bereits damals angepackt. Jetzt haben wir in rund zwei Jahren richtig Tempo und politisch Nägel mit Köpfen gemacht. Aber es ist, wie es ist. Rot-Grün hat das Problem des Hausärztemangels schlicht ignoriert. Wir ermöglichen darum auch den Quereinstieg für Krankenhausärzte: In Westfalen haben wir über 60 ältere Ärzte, die sich sehr gut vorstellen können, die letzten zehn Jahre oder mehr eine Hausarztpraxis zu übernehmen oder zu gründen. Dafür verkürzen wir ihre Ausbildungszeiten und geben ihnen mehr Geld im Rahmen der Förderung des Quereinstiegs in die Allgemeinmedizin, damit sie nicht weniger verdienen als vorher. Wir haben im letzten Jahr 1500 Mediziner aus dem Ausland anerkannt. Ich ziehe alle Register. Wenn das alles nicht ausreicht, werden wir darüber nachdenken müssen, die Krankenhäuser für die Allgemeinmedizin zu öffnen. Aber in einer älter werdenden Gesellschaft ist der Hausarzt als menschlich zugewandte medizinische Versorgung und auch als Lotse wichtiger denn je.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Versorgungszentren?

Laumann: Das ist für viele Ärztinnen und Ärzte eine attraktive Form zu arbeiten – auch in Teilzeit, weil sie keine eigene Praxis übernehmen wollen. Ich halte es aber trotzdem für wichtig, dass freiberufliche Ärzte ein wichtiges Element der Gesundheitsversorgung sind und bleiben. Sie sind vor allem wirtschaftlich unabhängig, sind bei Entscheidungen über eine stationäre Behandlung mit keinem Krankenhaus verbunden. Bei Ärzten in Versorgungszentren von Kliniken vermute ich, dass es da bei Einweisungen eine Erwartungshaltung der Arbeitgeber gibt. Freiberuflichkeit als Unabhängigkeit ist eine tolle Idee und hat sich bewährt.

Armut: Mindestlohn soll steigen

NRW ragt nach einer neuen Erhebung als Land mit besonders hoher Armutsquote heraus. Was macht das mit Ihnen als Sozialminister?

Laumann: Wir haben immer noch eine hohe Arbeitslosigkeit. Aber wenn ich das mit meiner letzten Amtszeit 2005 bis 2010 vergleiche, ist das deutlich gesunken. Wir haben einen Höchststand an Beschäftigung, wir haben eine klare Abnahme bei den Langzeitarbeitslosen. In dieser Gruppe können wir jetzt für 15.000 Betroffene den Transfer in Beschäftigungsprojekte mit Tariflöhnen angehen. Wir haben im Übrigen nicht nur einen Fachkräfte-, sondern auch einen Arbeitskräftemangel. Das zeigt doch, dass mit einer blühenden Wirtschaft auch mehr Menschen eine Chance bekommen. Zugleich zeigt sich nun, dass die soziale Schere nicht mehr weiter auseinander geht. Und trotzdem gibt es Probleme: 15 Prozent der Menschen, die in Nordrhein-Westfalen arbeiten, verdienen trotz Vollzeitjobs maximal 2000 Euro im Monat.

Was heißt das für den Mindestlohn?

Laumann: Ich bin der Meinung, dass der Mindestlohn nicht so bleiben kann. Den Weg der SPD, die den Mindestlohn politisch auf zwölf Euro festlegen will, halte ich allerdings für falsch. Aber eine Mindestlohnkommission, die den Satz in fünf Jahren nur um 69 Cent erhöht, macht ihren Job nicht gut. Wenn wir den Pfad weitergehen, sind wir 2033 bei zwölf Euro. Im Mindestlohngesetz steht nicht nur die allgemeine Lohnentwicklung als Faktor drin, sondern auch ein „angemessener“ Mindestschutz, zu dem ja auch die Alterssicherung gehören muss. Von so einer Kommission hätte ich erst recht in einer Zeit mit so guter Wirtschaftslage erwartet, dass sie hier genauer prüft, wie die Löhne steigen können.

Trifft das die Arbeitgeberseite, oder auch die Gewerkschaften?

Laumann: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Weiterentwicklung des Mindestlohns großen Industriegewerkschaften ein Herzensanliegen ist. Deshalb muss bei der Mindestlohnkommission auch etwas passieren. Das Ergebnis bis jetzt hätte man tatsächlich ins Gesetz schreiben können. Auf die Mindestlohnkommission bin ich nicht gut zu sprechen.

Eltern in den Blick nehmen

Die Schulministern fördert Talentschulen, der Familienminister Plus-Kitas und Familienzentren, Sie haben als Sozialminister den Reparaturbetrieb. Wäre es nicht an der Zeit für eine koordinierte, ressortübergreifende Herangehensweise?

Laumann: Unsere Häuser arbeiten gut zusammen. Es ist ein Grundproblem, dass Kinder aus sozial schwierigem Umfeld es sehr schwer haben, erfolgreich durch die Schule zu gehen. Die Frage, ob sie später einen sicheren Arbeitsplatz bekommen, hängt entscheidend daran, ob sie die Klasse 10 ausbildungsfähig verlassen. Das muss Schule leisten – auch durch Sozialarbeit. Unser Problem ist, dass wir in der Schule etwas für die Kinder tun, mein Haus sich um die Eltern kümmert. Ich glaube, dass man den Kindern nicht helfen kann, ohne dass man die Eltern in den Blick nimmt. Oft sind es Alleinerziehende. Deswegen finde ich eine Debatte, wie man die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik mit der Jugendhilfe verbinden kann, schon spannend. Das ist die gleiche Diskussion wie bei der Kindergrundsicherung. Es geht nicht um mehr Geld, sondern eine bessere Verzahnung. Diese Kinder brauchen mehr Unterstützung, damit sie ausbildungsreif aus der Schule kommen.

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