Kerstin Grießmeier

Corona: „Veränderungen werden dramatisch sein“

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die finanzielle Situation der Krankenkassen aus? Wie und wann werden Versicherte die Auswirkungen zu spüren bekommen? Der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Wolfgang Greiner gibt Antworten im Interview.

Herr Prof. Dr. Greiner, Sie richten als Gesundheitsökonom den Blick aufs große Ganze. Wie lässt sich die Finanzsituation der GKV derzeit beschreiben?

Momentan ist es so, dass das Finanzergebnis der Krankenkassen zum Jahresende kaum absehbar ist. Wir haben beispielsweise wenige Informationen darüber, wie viele der Behandlungen, die im Zuge des coronabedingten Shutdowns ausgefallen sind, noch nachgeholt werden können. Es könnte auch sein, dass zum Jahresende wieder eine Verschärfung der Situation eintritt, wenn uns im Winter eine neue Infektionswelle treffen sollte. All diese Unwägbarkeiten machen es im Grunde unmöglich, die Finanzentwicklung 2020 seriös vorherzusagen.

Prof. Wolfgang Greiner

Was lässt sich dann überhaupt prognostizieren?

Klar ist: Die Veränderungen bei den Einnahmen der GKV werden zumindest im Jahr 2021 dramatisch sein. Der Sachverständigenrat Wirtschaft rechnet in seiner jüngsten Konjunkturprognose mit etwa 6,5 Prozent Rückgang des Bruttoinlandsprodukts für 2020. Auch unabhängig von der Pandemie stehen weiter ansteigende Ausgaben niedrigeren Beitragseinnahmen gegenüber. Diese könnten so kurzfristig nur durch höhere Steuerzuschüsse oder – weniger wahrscheinlich – durch Beitragssatzsteigerungen aufgefangen werden.

Und was bedeutet das langfristig?

Wenn es weiterhin grundsätzlich nicht mehr als 40 Prozent Sozialversicherungsbeiträge sein sollen, dann wird man sich auf absehbare Zeit auf relativ hohe Steuerzuschüsse einstellen müssen. Langfristig wäre dann die Frage, wie lange man mit einer solch massiven Ausweitung der Steuerfinanzierung leben möchte.

Die Covid-19-Pandemie wird wie gesagt dazu führen, dass Einnahmen aufgrund der konjunkturellen Schwächung wegbrechen und daher entweder die Beiträge steigen oder der Steuerzuschuss erhöht werden muss – oder beides. Beide Alternativen sind nicht unproblematisch. Eine Erhöhung von Beitragssätzen führt in Zeiten der Rezession zu einer noch schwierigeren Belebung des Arbeitsmarktes, weil die höheren Beitragssätze gerade Arbeitsleistung belasten. Aber auch Steuern zur Finanzierung konsumtiver Ausgaben sind nicht unproblematisch, da sie die Handlungsfähigkeit des Staates langfristig einschränken können und zudem den Zusammenhang zwischen Beitrag und Versicherungsleistung immer mehr in den Hintergrund treten lassen.

Mittelfristig ist auch denkbar, dass die Gesundheitspolitik darüber nachdenken muss, wo sinnvoll Ausgaben eingespart werden könnten.

Wann und wie werden Versicherte das spüren?

Sollten die Beitragssätze erhöht werden, werden die Versicherten das 2021 spüren. Die angespannte Finanzsituation kann auch dazu führen, dass es zu Verschiebungen im Krankenkassenmarkt kommt. Es ist durchaus denkbar, dass wir in den nächsten Jahren Krankenkassenfusionen sehen werden. Die Versorgungslage der einzelnen Patienten wird davon jedoch zunächst nicht betroffen sein. Mittelfristig ist auch denkbar, dass die Gesundheitspolitik darüber nachdenken muss, wo sinnvoll Ausgaben eingespart werden könnten. Diese Diskussion wird allerdings ganz sicher nicht vor der nächsten Bundestagswahl aufgenommen werden.

Was muss die Gesundheitspolitik aus Ihrer Sicht in Sachen Finanzen ändern?

Die nächste Legislaturperiode wird ganz entscheidend für die zukünftige Finanzarchitektur der gesetzlichen Krankenkassen sein. Momentan wird eine längerfristige Rezession erwartet, die am Arbeitsmarkt noch auf Jahre spürbar sein wird – somit auch bei den Beitragseinnahmen. Die Frage wird sein, ob die zusätzlichen Steuerzuschüsse zur GKV länger als nur ein oder zwei Jahre gezahlt werden oder ob man irgendwann höhere Beitragssätze in der Sozialversicherung akzeptieren will. Und inwiefern eine Überprüfung der Leistungsversprechen und der Strukturen im Gesundheitswesen angegangen werden muss. Dies gilt neben der GKV insbesondere auch für die Pflegeversicherung. Die Zeiten, in denen sich Leistungsgesetze quasi selbst durch die positive Entwicklung der Zahl der Beitragszahler und der Einkommen finanzierten, ist jedenfalls für geraume Zeit vorbei. Damit sollte auch zunächst einmal die Unsitte zum Ende kommen, versicherungsfremde Leistungen wie z.B. den Strukturfonds im Gesundheitswesen aus Beitragsmitteln des Gesundheitsfonds zu finanzieren. Diese Ausgaben sollten aus Steuermitteln finanziert werden. Das gilt für die nähere Zukunft umso mehr.

Kurzbiografie

Prof. Dr. Wolfgang Greiner ist Inhaber des Lehrstuhls für „Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement“ an der Universität Bielefeld. Seit Mitte 2010 ist Prof. Greiner Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen beim Bundesgesundheitsministerium. Er gehört zudem den wissenschaftlichen Beiräten der Techniker Krankenkasse, der DAK sowie des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) an. Von Mai 2007 bis März 2008 war und seit September 2018 ist Prof. Greiner Mitglied im wissenschaftlichen Beirat für die Neugestaltung des Risikostrukturausgleiches in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die wissenschaftlichen Schwerpunkte Prof. Greiners liegen im Bereich der Evaluation von Gesundheitsleistungen, der Lebensqualitätsforschung, des Health Technology Assessments, des Risikostrukturausgleichs sowie des Disease Managements. Er ist Preisträger des österreichischen Preises für Gesundheitsökonomie, des Wissenschaftspreises der Universität Hannover sowie des Medvantis-Forschungspreises.



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