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Lech Walesa sorgt sich um die Einheit Europas

Der frühere polnische Gewerkschaftsführer ist in Berlin für seine Verdienste um Versöhnung und Verständigung ausgezeichnet worden. Gewürdigt wurde auch sein Beitrag zur friedlichen Revolution.

Hans-Jürgen Deglow
von Hans-Jürgen Deglow
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Lesezeit 3 Min
Verleihung Auszeichnung für Verdienste um Versöhnung
Lech Walesa, Friedensnobelpreisträger, ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarnosc und früherer polnischer Staatspräsident, bei seiner Rede in Berlin.  Foto: Britta Pedersen (dpa)

Elektriker und Werftarbeiter, Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger. Lech Walesa gilt als Ikone der polnischen Freiheitsbewegung. Mit der Gewerkschaft Solidarnosc, die 1980 aus einer Streikbewegung heraus entstand, veränderte er Polen, wirkte er an der Revolution und den Reformen 1989 entscheidend mit. Nun kam Walesa nach Berlin, um einen Preis entgegenzunehmen: In der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt verlieh ihm die Senioren-Union der CDU die „Goldene Medaille für Verdienste um Versöhnung und Verständigung unter den Völkern”.


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Deutschland sollte mehr Führung übernehmen

Der 78-Jährige hatte einige Botschaften mitgebracht. Eindringlich mahnte Walesa in seiner Dankesrede Deutschland, voran zu gehen bei der Rettung Europas. Die Stärkung der europäischen Gemeinschaft habe er stets als Aufgabe des starken, wiedervereinten Nachbarn verstanden. Das Schicksal habe Deutschland die Einheit gegeben, daraus sei Verantwortung gewachsen. Wenn Europa auseinander falle, weil sich Demagogen und Populisten durchsetzten, so Walesa, dann müsse sich auch Deutschland fragen lassen, ob es genug getan habe: „Ich bitte euch, beschäftigt Euch mit Programmen und Strukturen, um Europa wieder zu vereinigen, auf eine ernsthafte Art und Weise.” Es gehe um die Erneuerung und Renovierung der EU und darum, die „schwer erkämpfte Freiheit nicht zu verlieren”.

Die Deutschen sollten in Europa „kluge Köpfe zusammenbringen. Schreibt Listen mit Themen, die in unseren Nationalstaaten keinen Platz haben, und überlegt dann, welche Themen kontinental und welche global lösen zu sind”. Und: „Wir müssen endlich damit beginnen, uns zu ordnen.” Die Führungsrollen sieht Walesa, der sich selbst als „Praktiker und Revolutionär” bezeichnet, klar verteilt: In Europa bei Deutschland, global bei den USA. Diese Länder seien es auch, die bei der Verteidigung von Freiheit, Frieden und Wohlstand Vorbilder sein müssten. Auch das Wahlergebnis in Italien habe mit einem Mangel deutscher Führung in Europa zu tun. 

„Wir haben uns in die Irre führen lassen von Perestroika und Glasnost.” 

Mit großer Sorge blickt Walesa auch auf den Ukrainekrieg. In der Dauer der Regentschaft Putins liege das eigentliche Problem im politischen Systems Russlands. Jetzt gehe es darum, den Ukrainern zu helfen, ihnen Geld und Waffen zu geben, damit sie ihre Freiheit verteidigen könnten. Er erinnerte daran, dass Russland wie früher die Sowjetunion viele Völker unterjoche, sie umsiedeln würde, ihre Anführer ermorde. Auch Gorbatschow sei ein russischer Patriot gewesen, sagte Walesa. Er habe versucht, so viel zu retten wie möglich und die Herzen des Westens gewonnen - aber schon in dieser Wendezeit sei die Saat ausgelegt worden, die später Putin den Weg geebnet habe. Einem Führer also, sagte Walesa, der wie einst Stalin nach einem möglichst großen Reich strebe. Er betonte: „Wir haben uns in die Irre führen lassen von Perestroika und Glasnost.” 

Schäuble erinnert an den Kalten Krieg 

Die Laudatio auf Walesa hielt der langjährige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Er nannte Walesa eine „der prägenden Figuren, die das friedliche Ende des Kalten Krieges bewirkt haben”.  Schäuble erinnerte an die Zeit des Kalten Krieges, die auf zwei Weltkriege gefolgt sei. „Die Abwesenheit von heißem Krieg nach 1945 war gegründet auf die  gegenseitige atomare Vernichtbarkeit.” Schäuble: „Wie sollte das ohne eine die Menschheit auslöschende Katastrophe zu Ende gehen? Das wusste keiner.” Und auch heute gebe es eine Situation, in der keiner ganz sicher sei, wie „das ohne Katastrophe zu Ende gehen kann”.  Deshalb seien das Wunder der friedlichen Revolution der Jahre 1989/90 und Walesas Beitrag nicht hoch genug wertzuschätzen.


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Richtige Balance von Widerstand und Verhandlung 

Schäuble erzählte von der Dankbarkeit gegenüber Gorbatschow und den Verdiensten des polnischen Papstes - Karol Wojtyla. Johannes Paul II. habe mit seinen Pilgerreisen in seine Heimat Polen ebenfalls Entscheidendes zum Wunder der friedlichen Revolution beigesteuert. Der CDU-Politiker blickte zudem zurück auf das Jahr 1956, als der Volksaufstand in Ungarn brutal niedergeschlagen worden sei.  Die Polen seien damals auch schon rebellisch gewesen, hätten aber die militärische Intervention vermieden. Schäuble: „Sie ahnten, dass Frieden und Freiheit nur durch die richtige Balance von Widerstand und Verhandlung gelingen kann.” Den Preisträger Walesa zeichne eine aktive Sehnsucht nach Frieden und Freiheit aus, das unerschütterliche Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht von Völkern, weitsichtiges Handeln und der Mut zum Kompromiss. 

Walesa stand unter Hausarrest

Das Ziel Walesas, der seit 1967 auf der Danziger Werft arbeitete, Lebensbedingungen und Arbeitnehmerrechte zu verbessern, hätten schließlich ihren Ausdruck in der großen Streikbewegung im August 1980 gefunden: „Der charismatische Arbeiterführer Walesa betrat die Bühne der Weltpolitik.” Auch die Verhängung des Kriegsrechtes, die Repressions- und Verhaftungswelle - Walesa selbst stand lange unter Hausarrest - hätten die Veränderungen nicht mehr aufhalten können. Schäuble würdigte weiter die Aussöhnung zwischen Polen und Deutschland. Auch der Kniefall von Willy Brandt habe in dieser Versöhnungsgeschichte eine wichtige Bedeutung. 

Über den Ukrainekrieg sagte Schäuble selbstkritisch, dass die deutsche Politik zu lange die Augen verschlossen habe. Polen habe schon nach Russlands Angriff auf Georgien 2008 vor dem Expansionsdrang Putins gewarnt: „Das haben wir nicht ernst genommen.”. Stattdessen habe man die Energieabhängigkeit „unverantwortlich immer weiter erhöht”. Heute würde er nicht tauschen wollen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), sagte er mit Blick auf die Last der Entscheidungen.

Der Vorsitzende der Senioren-Union der CDU, Otto Wulff, erklärte in seiner Rede, es sei wichtiger denn je, den „Wertekompass nicht hin und her schieben”.  Die größten Leistungen der Nachkriegsgeschichte seien die deutsch-polnische Versöhnung und das Entstehen eines freien und demokratischen Europas - dies gelte es zu bewahren. 

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