EU-Richtlinie für Lieferketten:Für Mensch und Natur

EU-Richtlinie für Lieferketten: Kolkata, Indien: Eine Frau sortiert Baumwolle. Künftig sollen Betroffene von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung europäische Unternehmen vor Zivilgerichten auf Schadenersatz verklagen können.

Kolkata, Indien: Eine Frau sortiert Baumwolle. Künftig sollen Betroffene von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung europäische Unternehmen vor Zivilgerichten auf Schadenersatz verklagen können.

(Foto: Piyal Adhikary/dpa)

Die EU will Unternehmen dazu verpflichten, ihre gesamte Wertschöpfungskette im Blick zu haben. Bei Verstößen drohen Geldstrafen. Wirtschaftsverbände befürchten gerade jetzt eine Überforderung.

Von Martina Kind

Mehrmals hat die EU-Kommission die Vorlage ihres Entwurfes für ein europäisches Lieferkettengesetz verschoben, den die einen mit Hoffnung, die anderen mit Sorge erwartet hatten. Am 23. Februar dann gab es endlich Klarheit aus Brüssel: Demnach plant die EU eine Richtlinie zum Schutz der Umwelt-, Klima- und Menschenrechte, die deutlich strenger sein soll als das im vergangenen Sommer in Deutschland verabschiedete Lieferkettengesetz, welches 2023 in Kraft tritt. Mit dieser wolle man "beim ökologischen Wandel eine Führungsrolle einnehmen", erklärte denn auch EU-Justizkommissar Didier Reynders. Die Reaktionen auf den Vorschlag fallen indes gespalten aus; während er Menschenrechts- und Umweltexperten an einigen Stellen noch immer zu lasch ist, schlagen Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände aus Angst vor Überlastung Alarm.

Unternehmen sollen nach dem Entwurf einen Klimaschutzplan vorlegen

Sicher ist: Sollte der Richtlinienvorschlag in dieser Form verabschiedet werden, müsste die Bundesregierung ihr Lieferkettengesetz an die weitaus härteren EU-Vorgaben anpassen. Damit wären zum einen sehr viel mehr Unternehmen betroffen, denn wo das deutsche Gesetz zunächst bei 3000 und ab 2024 bei 1000 Mitarbeitenden die Grenze zieht, gelten die Sorgfaltspflichten der EU für Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro im Jahr.

Bei Risikobranchen, in denen die Gefahr von Ausbeutung und Umweltverstößen besonders hoch ist, wie beispielsweise in den Bereichen Textil, Lebensmittel, Landwirtschaft und Bergbau, liegt die Schwelle bei 250 Mitarbeitenden und einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro. Unter die Richtlinie fallen nach Schätzungen der EU-Kommission rund 13 000 Unternehmen in der EU und 4000 Unternehmen aus Drittstaaten, die auf dem Binnenmarkt der Union tätig sind.

Die Bereiche Transport, Bauwesen, Energie und Finanzen sind nicht als Risikosektoren definiert

Ein wesentlicher Unterschied zur deutschen Regelung besteht zudem darin, dass Unternehmen ihre gesamte Wertschöpfungskette im Blick haben müssen - und nicht nur ihre unmittelbaren Zulieferer. Tun sie das nicht, drohen Geldstrafen. Auch sollen die Unternehmen nach dem Entwurf nunmehr einen Klimaschutzplan vorlegen, der im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens steht.

Während die ursprünglich geplante zivilrechtliche Haftungsregel, wonach Unternehmen für die Schäden haften, die sie durch die Missachtung ihrer Sorgfaltspflichten verursacht haben, auf massiven Druck der Wirtschaftsverbände am Ende doch keinen Eingang in das deutsche Lieferkettengesetz gefunden hat, ist der EU-Entwurf konsequenter. Mithin sollen Betroffene von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung europäische Unternehmen vor Zivilgerichten auf Schadenersatz verklagen können; dafür müssen sie jedoch nachweisen können, dass diese gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen haben.

"Ausgerechnet jetzt wollen Deutschland und die EU die Lieferketten schärfer kontrollieren, während gleichzeitig in Osteuropa die Panzer rollen."

Wenngleich der EU-Richtlinienvorschlag einige Lücken in der deutschen Regelung zu schließen vermag, handelt es sich noch immer um einen Kompromiss. Demnach beklagt das Bündnis "Initiative Lieferkettengesetz", in dem mehr als 125 zivilgesellschaftliche Organisationen vertreten sind, dass der aktuelle Vorschlag nur ein Prozent aller auf dem EU-Markt tätigen Unternehmen träfe und damit nicht weit genug gehe. Nicht nachvollziehbar sei etwa, dass die Bereiche Transport, Bauwesen, Energie und Finanzen nicht als Risikosektoren definiert seien, "obwohl es auch hier oft erhebliche Risiken für Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen gibt", kritisiert Johannes Heeg, Sprecher der Initiative.

Unklar sei überdies, wieso die Sorgfaltspflichten nur für "etablierte Geschäftsbeziehungen" gelten; das schaffe falsche Anreize für Unternehmen, die ihre Zulieferer ständig wechseln könnten, um das Gesetz auf diese Weise zu umgehen, ergänzt Cornelia Heydenreich von der Umweltorganisation Germanwatch.

Zwar sei zu begrüßen, dass die Kommission die zivilrechtliche Haftungsregel in ihren Entwurf aufgenommen habe, die essenzielle Frage der Beweislast habe sie aber nicht geklärt, so Heydenreich weiter. Die Hürden für Schadenersatzklagen blieben daher weiterhin hoch. Schwachstellen gebe es außerdem beim Umwelt- und Klimaschutz; wie auch im deutschen Gesetz fehlten eigenständige klimabezogene Sorgfaltspflichten.

EU-Richtlinie für Lieferketten: Trockene Böden: Ein Landwirt wirbelt mit seinem Traktor beim Bearbeiten eines Feldes Staub auf.

Trockene Böden: Ein Landwirt wirbelt mit seinem Traktor beim Bearbeiten eines Feldes Staub auf.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Wirtschaftsverbände wie der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie, der schon gegen das deutsche Lieferkettengesetz aufbegehrt hatte, halten die Anforderungen des EU-Vorschlags dagegen für unverhältnismäßig und realitätsfern. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA), fürchtet eine "massive Überforderung" und "enorme Unsicherheit" aufseiten der Unternehmen.

Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), schätzt die Wirkung eines EU-Lieferkettengesetzes gemessen an den "bürokratischen und finanziellen Belastungen" als vergleichsweise gering ein und verwies auf die ohnehin "wirtschaftlich angespannte Lage".

Die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Gitta Connemann, moniert, dass die Lieferketten ob der Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie der explodierenden Energie- und Rohstoffpreise infolge des Krieges in der Ukraine gerade weltweit auseinanderrissen, was zu besorgniserregenden Engpässen führe. "Ausgerechnet jetzt wollen Deutschland und die EU die Lieferketten schärfer kontrollieren, während gleichzeitig in Osteuropa die Panzer rollen."

Dürreperioden, steigende Lebensmittelpreise und Klimamigration: Firmen müssen sich darauf einstellen

Julia Hartmann ist Professorin für Management und Nachhaltigkeit an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht; sie befasst sich in ihrer Forschung seit Jahren mit nachhaltigen Lieferketten. Die Sorgen der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände kann sie nachvollziehen. "Der zusätzliche Aufwand ist nicht unerheblich, insbesondere für Unternehmen, die sich mit dem Thema bisher noch nicht wirklich auseinandergesetzt haben."

Gleichwohl führe mit Blick auf den Klimawandel kein Weg daran vorbei. "Wir werden in den nächsten dreißig Jahren aufgrund von Bodenerosionen sehr viel Fläche verlieren für die Agrarwirtschaft, die Nahrungsmittelpreise werden steigen, wir werden Flüchtlingswellen und Klimamigrationen sehen, und von einer Inflationsrate von fünf Prozent werden wir wohl weit entfernt sein."

Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges, die sich jetzt mit voller Wucht zeigten, werden Hartmann zufolge die Probleme sein, auf die sich Unternehmen langfristig einstellen müssen. "Unternehmen müssen verstehen, dass ihre gesamten Geschäftsmodelle durch den Klimawandel massiv betroffen sein werden. Je früher sie sich auf die sozialen und ökologischen Probleme unserer Zeit vorbereiten, desto eher haben sie eine Chance zu überleben."

Mithin hofft Hartmann, dass der Richtlinienentwurf der Kommission auf seinem weiteren Weg in das EU-Parlament und den Rat aufgrund von Protesten der Wirtschaftslobby nicht weiter verwässert wird. Sobald das europäische Lieferkettengesetz beschlossen ist, müssen die Mitgliedsstaaten die Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. Bis 2026 haben die Unternehmen demnach Zeit, sich auf schärfere Regeln einzustellen.

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